Gesetzes beschlossen. Die neue Form des Anti-Terror-Gesetzes erweitert die
Befugnisse der Sicherheitskräfte und schränkt die Rechte von Festgenommenen
ein. Nach Meinung der Presseverbände in der Türkei droht damit jedem
Journalisten und Menschenrechtler Gefängnis, der Berichte im Zusammenhang
mit „Terrorismus“ veröffentlicht. Das neue Gesetz schränkt auch die Grundrechte
wie Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung, die im Zuge
der Beitrittsverhandlungen im Jahr 2005 ausgeweitet wurden, ein.
Allein der § 301 über die "Verunglimpfung des Türkentums" eignet sich inzwischen zur
Einschüchterung von Menschenrechtsverteidigern, Autoren, Journalisten und
Verlegern, die ihre kritische Stimme erheben. Dieser ahndet die öffentliche
Verunglimpfung des Türkentums, der Republik, der Nationalversammlung, der
Regierung, der Justizbehörden sowie militärischer und Sicherheitsstrukturen mit
Haftstrafen bis zu drei Jahren. Verstößt ein türkischer Staatsbürger im Ausland
gegen diesen Paragrafen, wird das Haftmaß um ein Drittel erhöht.
Zurzeit laufen auf Grundlage des § 301 Anklagen gegen zahlreiche (ca. 70
Verfahren) Journalisten und Schriftsteller. Zu den bekanntesten gehören der
ermordete Hrant Dink, Orhan Pamuk und Elif Safak, die wegen Beleidigung des
Türkentums angeklagt wurden.
Abgesehen von diesen Anklagen und den damit verbundenen Verurteilungen hat
die Einführung des § 301 und die damit einhergehende Propaganda in den
türkischen Medien dazu geführt, dass sich insgesamt die Stimmung im Lande
geändert hat.
Zurzeit wird ein nationalistischer Feldzug gegen Menschenrechtler, Schriftsteller
und Journalisten geführt, die sich kritisch äußern, und es wird versucht diese
nationalistische Grundstimmung in der türkischen Gesellschaft zu etablieren.
Am 19. Januar 2007 wurde der türkisch-armenische Journalist Hrant Dink
ermordet. Der 52-jährige Journalist wurde vor seinem Redaktionsbüro auf offener
Straße in Istanbul erschossen. Dink war im vergangenen Jahr wegen
„Beleidigung des Türkentums“ rechtskräftig zu einer Bewährungsstrafe von sechs
Monaten verurteilt worden. Nach der Festnahme wurde der Mörder von Dink wie
ein Nationalheld gefeiert, indem er in den Medien mit dem Foto des
Staatsgründers Atatürks und mit einer türkischen Fahne, auf dem der Spruch des
Atatürks „Das Land der Nation ist heilig. Es darf nicht dem Schicksal überlassen
werden.“ stand, abgebildet wurde.
Nach der Ermordung von Hrant Dink und unter dem Eindruck massiver
Drohungen hat der türkische Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk im Februar
2007 eine Reise nach Deutschland abgesagt und musste in die USA fliehen.
Sowohl der Mord als auch die Verfolgung und die Bedrohungen wurden in den
türkischen Medien als einzelne kriminelle Fälle dargestellt und dadurch wurde
auch die politische Dimension verschleiert. Denn es gibt Mutmaßungen, dass die
Ermordung und Bedrohungen durchgeführt wurden im Auftrag des "tiefen
Staates", worunter man ein undurchdringbares Geflecht von Sicherheitskräften,
Justiz, Verwaltung und organisiertem Verbrechen versteht - ein Milieu, in dem
angeblich "Staatsinteressen" notfalls durch Mord gewahrt werden, wenn die
Politik vermeintlich versagt.
In einer Einschätzung der Türkei über die Fortschritte im Hinblick auf die Erfüllung
von Menschenrechtsstandards sagte Human Rights Watch für das Jahr 2005,
dass Pressefreiheit, Religionsfreiheit und Achtung von Minderheiten zwar noch
weit vom Ideal entfernt seien, sich jedoch stetig verbesserten.
Nach den jüngsten Ereignissen haben EU-Politiker und andere Beobachter
jedoch den Eindruck, dass in der Türkei die Zeit der entschlossenen politischen
Reformen vorbei ist. Vom Reformeifer der vergangenen Jahre sei nichts mehr zu
spüren. Das US-Magazin "Newsweek" kritisierte eine "hässliche nationalistische
Stimmung" in der Türkei.
Die Fälle von Hrant Dink, Orhan Pamuk und Elif Safak stellen nur die Spitze des
Eisberges dar. In der Tat macht der Staat bei der Verfolgung seiner Kritiker keine
Unterschiede. Deswegen werden neben den bekannten auch die „kleinen“
Theatergruppen, Musiker, Herausgeber, Wehrdienstverweigerer, Aktivisten von
Menschenrechtsvereinen und Kulturzentren bedroht und verfolgt und unter
Umständen ermordet so wie der katholische Priester Don Andrea Santoro im
September 2006 in Trabzon. Andere Beispiele sind u. a. : Ferhat Tunc - Musiker,
Grup Yorum - Musikgruppe, Grup Munzur - Musikgruppe, Günes - Theater,
Osman Murat Ülke - Wehrdiensverweigerer, Mehmet Tarhan -
Wehrdienstverweigerer, BEKSAV-Stiftung für Kultur, Erziehung, Ästhetik,
Wissenschaft und Kunst.
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