info migration 05.02.07
Geschrieben von jnwwebmaster am February 06 2007 08:15:09
1. Vor zwei Jahren starb Hatun Sürücu - Schwester kämpft um Sorgerecht


Mit mehreren Schüssen in Kopf und Oberkörper wurde sie von ihrem eigenen Bruder „im Namen der Ehre“ ermordet. Zum zweiten Mal jährt sich an diesem Mittwoch der Tag des Verbrechens an Hatun Sürücü. Ihr kleiner Sohn Can lebt seitdem bei Pflege-eltern in Berlin. Hatuns Schwester Arzu hatte im April vergangenen Jahres das Sor-gerecht für ihren Neffen beantragt, das vom Vormundschaftsgericht im Dezember ab-gelehnt worden war. „Arzu wird gegen die Gerichtsentscheidung Widerspruch einle-gen“, sagte am Sonntag Zakaeira Wahbi, Familienhelfer der Sürücüs, dem Tages-spiegel.

Die Bilder des Mordes und vom Tatort in der Tempelhofer Oberlandstraße erregten Aufsehen in ganz Deutschland: Die Deutsch-Türkin Hatun Sürücü musste sterben, weil sie westlich lebte. Die 23-Jährige war in Berlin aufgewachsen, doch als 15-Jähri-ge mit einem Cousin in der Türkei verheiratet worden. Nach der Geburt ihres Sohnes 1999 weigerte sie sich, wieder in die Türkei zurückzukehren. Die 23-Jährige legte ih-ren Schleier ab, schnitt die Haare kurz, nahm sich eine eigene Wohnung und begann eine Lehre als Elektromechanikerin.

Das war „zu viel“ für ihre erzkonservative Familie aus der kurdischen Provinz Erzu-rum, in der mehrmals täglich nach sunnitischem Ritus gebetet wurde. Vor ihrem Tod hatte Hatun zaghaft versucht, sich ihrer Familie wieder anzunähern. Manchmal em-pfing sie sogar ihren jüngsten Bruder und späteren Mörder zu Hause, wo dieser mit Can spielte.

Dass ein Familienrat diesen Mord beschlossen haben könnte, konnte vom Gericht nicht nachgewiesen werden. Der 20-jährige Ayhan Sürücü wurde im April 2006 zu einer Jugendhaft von neun Jahren und drei Monaten verurteilt, die beiden älteren mitangeklagten Brüder Mutlu und Alpaslan aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Diese „lebenslustige junge Frau“, sagte Richter Michael Degreif am Berliner Landge-richt, musste sterben – „weil sie ihr Leben lebte, so wie sie es für richtig hielt“. Noch im Gerichtssaal jubelten direkt nach dem Urteilsspruch Freunde und Verwandte der Sürücü-Familie den drei Brüdern im Panzerglaskasten zu. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen dieses Urteil Revision eingelegt, die zurzeit vom Generalbundesanwalt geprüft wird.

Arzu Sürücü, Hatuns Schwester, spricht perfekt Deutsch, doch möchte sie am liebs-ten gar nicht mehr mit Fremden sprechen. Sie habe sich in der Vergangenheit oft missverstanden gefühlt, sagt sie ohne nähere Ausführungen.

aus: Der Tagesspiegel vom 04.02.2007 (von Sabine Beikler)

Link: www.tagesspiegel.de/berlin/archiv/05.02.2007/3062442.asp#

2. Vor zwei Jahren starb Hatun Sürücu - Grüne erinnern mit Dokumentarfilm

Am 7. Februar 2007 jährt sich zum zweiten Mal der Todestag von Hatun Sürücü.

Aus diesem Anlass zeigt die Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus den Dokumentarfilm "Crime:Berlin", der im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Filmprojekts "Crime" entstanden ist. Der aus Detroit stammende Regis-seur Jeremy Xido hat über den "Ehrenmord" an der Deutsch-Kurdin Hatun Sürücü einen Dokumentarfilm gedreht.

Der Film befasst sich mit den Hintergründen, Ursachen und Folgen der Tat und mit ihrer Interpretation in den Medien. Er zeigt, wie die Menschen im Kreuzberger Kiez heute darüber denken. Zu Wort kommen u.a. eine Vertreterin des Türkischen Bundes in Berlin und Brandenburg, der Integrationsbeauftragte Berlins, KünstlerInnen der deutsch-türkischen HipHop-Szene, JournalistInnen, SozialarbeiterInnen und Men-schen aus dem Umfeld von Hatun Sürücü. Ohne zu kommentieren, entstand durch die gelungene Montage von Interviews ein Film, der versucht zu verstehen und gleichzeitig ein lebendiges Portrait von Kreuzberg zeichnet.

Im Anschluss an die Filmvorführung findet eine Diskussion über den Film und den Begriff "Ehre" in der türkischen Gemeinschaft mit Canan Turan,Regieassistentin und Studentin der Filmwissenschaften; Bilkay Öney, integrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion; Semih Kneip, Sozialpädagoge; Anja Kofbinger, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, sowie den AusbildungsbetreuerInnen von Hatun Sürücü

Die Veranstaltung beginnt am Mittwoch, 07.02.2007, um 17.00 im Berliner Abgeord-netenhaus, Niederkirchnerstraße 5, 10117 Berlin-Kreuzberg. Anmeldungen nimmt Sabine Bangert unter sabine.bangert@gruene-fraktion-berlin.de entgegen.

aus: Mitteilung von Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus

3. Bleiberecht: Unionsländer bekräftigen Widerstand gegen „Altfälle“

Die unionsregierten Länder haben ihren Widerstand gegen ein großzügigeres Blei-berecht für langjährig geduldete Ausländer bekräftigt. Nach Angaben des nieder-sächsischen Innenministeriums brachte das Land am Donnerstag einen Entschlies-sungsantrag in den Bundesrat ein, der sich gegen ein gesetzliches Bleiberecht für sogenannte Altfälle wendet. Für eine entsprechende Ergänzung des Aufenthaltsge-setzes gebe es keinen Bedarf, heißt es in dem Antrag. Über eine solche Gesetzesän-derung verhandelt zur Zeit die große Koalition in Berlin.

aus: junge Welt vom 02.02.2007

Link: www.jungewelt.de/2007/02-02/050.php

4. Bleiberecht: Regierung will „Paket“ vor Ostern schnüren

"Ich denke, dass wir noch vor Ostern einen Gesetzentwurf haben", sagte Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach am Sonntag der Nachrichtenagentur AP. Es gebe zwar noch einige strittige Punkte. Diese bestünden aber nicht zwischen den Koaliti-onären, sondern zwischen dem Innen- und dem Justizministerium. Beim Bleiberecht sei am Freitag bereits eine grundsätzliche Einigung erzielt worden.

Das Bleiberecht ist ein Teil des deutschen Ausländerrechts, das unter anderem auch die Bereiche Asyl, Integration und Beschäftigung regelt. Als Konsequenz aus den versuchten Kofferbombenanschlägen im August wollen Union und SPD das Zuwan-derungsrecht verschärfen.

Bosbach erklärte, beim Thema Bleiberecht sei bei einem Treffen mit Bundesinnenmi-nister Wolfgang Schäuble am Freitag "eine weitestgehende Einigung erzielt" worden.

"Wir sind kurz vor dem Ziel", erklärte der CDU-Innenexperte. Geplant sei eine eigen-ständige Bleiberechtsregelung für Jugendliche ab 14 Jahren, deren Eltern ausreise-pflichtig seien. "Die Jugendlichen müssen aber integriert sein, um in den Genuss ei-nes Aufenthaltsrechtes zu kommen", erklärte Bosbach.

Außerdem solle es eine Sonderregelung für Alleinstehende und Familien geben, die grundsätzlich für ein Bleiberecht in Frage kämen. Ihnen werde eine Frist für die Job-suche gewährt. Der genaue Gesetzestext müsse noch ausformuliert werden, sagte Bosbach. Er sei jedoch zuversichtlich.

aus: RP Online vom 04.02.2007

Link: www.rp-online.de/public/article/aktuelles/politik/deutschland/403796

5. Bleiberecht: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein bietet Hilfsmaterialien

(BIM) Zur Unterstützung der Beratung von Personen, die einen Antrag auf Bleibe-
recht im Sinne des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom vergangenen No-vember stellen wollen, hat der Flüchtlingsrat Schlewig-Holstein über sein Projekt InfoNet zwei Dateien auf seine Homepage gestellt.

Diese helfen bei der Berechnung des vorausgesetzten Lebensunterhaltes und geben Hinweise zur Ansprache von ArbeitgeberInnen für arbeitssuchende Flüchtlinge

Die Materialien sind über http://infonet-frsh.de/bleiberecht1/ abrufbar.

6. Bleiberecht: Land Berlin bietet Hinweisblatt für Arbeitgeber

Seit die Innenminister der Bundesländer sich im vergangenen November auf eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge geeinigt hatten, gibt es für einen großen Teil des betroffenen Personenkreises wesentliche Erleichterungen. Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Dr. Heidi Knake-Werner zeigt sich erleichtert, dass viele Menschen, die sich bisher von Duldung zu Duldung quälen mussten, jetzt endlich eine Chance auf eine dauerhafte Perspektive erhalten:

„Den Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu sichern“, so Senatorin Dr. Knake-Wer-er, „dies wesentliche Recht, war den langjährig Geduldeten bisher vorenthalten. Ich bin froh, dass viele von ihnen jetzt unter bestimmten Voraussetzungen einen Arbeits-latz erhalten können. In Berlin sind es ca. 8.800 Geduldete und 1.850 Asylbewerber, die von der neuen Regelung profitieren könnten.

Allerdings herrschen gerade unter Arbeitgebern große Unsicherheit und Unkenntnis darüber, unter welchen Bedingungen diese Flüchtlinge überhaupt eingestellt werden können und ob ein solches Arbeitsverhältnis von Dauer sein kann. Ich habe deshalb ein Informationsblatt herausgegeben, das Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern die wichigsten Fragen dazu beantwortet, wer in den Genuss der Bleiberechtsregelung kommt und zu welchen Bedingungen diese Menschen jetzt arbeiten können. Die neue Regelung ist bis Ende September diesen Jahres befristet. Daher gilt es, schnell zu handeln. Ich hoffe, dass unser Informationsblatt dazu beiträgt, für möglichst viele langjährig Geduldete ein festes Arbeitsverhältnis zu schaffen“, erklärt Senatorin Dr. Knake-Werner

Link zum Merkblatt:
www.berlin.de/lb/intmig/themen/fluechtlinge

aus: Landespressedienst Berlin vom 05.02.2007

7. Bleiberecht: Hamburger Offensive für Ausbildung und Beschäftigung tagt

Die EQUAL Entwicklungspartnerschaft „Fluchtort Hamburg - Berufliche Qualifizierung für Flüchtlinge“ lädt ein zur Fachveranstaltung „Offensive für Ausbildung und Be-schäftigung von Flüchtlingen“ am Dienstag, den 6. Februar 2007 von 14.30 bis 17.30 Uhr im Albert-Schäfer-Saal der Handelskammer, Adolphsplatz 1.

Bei der Umsetzung der Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge werden Hamburger Wirtschaftsunternehmen und Betriebe in den kommenden Mona-ten eine wichtige Rolle spielen. Laut Beschluss der Innenministerkonferenz vom No-vember 2006 wird u.a. ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz darüber entscheiden, ob ein Flüchtling die Chance erhält, sich eine Zukunft in der Bundesrepublik aufzubau-en.

Die Mehrheit der Flüchtlinge wird jedoch nicht in den Genuss dieser Regelung kom-men, weil sie nicht lange genug in Deutschland leben oder andere Kriterien nicht er-füllen. Doch auch sie haben ein Recht auf Ausbildung. Denn Integration in die hiesi-ge Gesellschaft erfolgt in erster Linie über Schule, Ausbildung und Arbeit. Dies sind zugleich wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Weiterwanderung oder die Rückkehr ins Heimatland.

Nach Begrüßung und Grußworten von Tamer Ilbuga (passage gGmbH, Koordination „Fluchtort Hamburg“), Bernhard Proksch (Behörde für Wirtschaft und Arbeit) und Dr. Uve Samuels (Handelskammer Hamburg) referieren Thomas Diwan (Jungheinrich AG) zu „Vielfalt im Betrieb“ und Dr. Dagmar Beer-Kern (Arbeitsstab der Beauftragten für Migration, Flüchtlinge und Integration im Bundeskanzleramt) über „Integration als gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Nach einer Kaffeepause diskutieren Hamburger Flüchtlinge, Cord Wöhlke (Budnikowsky GmbH), Götz Diederichs (Junges Hotel) Ralph Bornhöft (Behörde für Inneres), Rolf Steil (Agentur für Arbeit) und Dr. Dirk Hauer (Diakonisches Werk) über die Chancen der Flüchtlinge auf dem Hamburger Arbeitsmarkt. Moderiert wird die Gesprächsrunde von Burkhard Plemper (NDR).

Information und Anmeldung über: Michaela Ludwig, Mainstreaming Agentur „Flucht-ort Hamburg“, T. 0172 – 41 40 484; weitere Infos unter: www.fluchtort-hamburg.de

8. Sachsen-Anhalt: 51 Ausländer dürfen dank Härtefallkommission bleiben

Die so genannte Härtefallkommission hat im vergangenen Jahr 51 Ausländern zu ei-nem Bleiberecht in Sachsen-Anhalt verholfen. Die abgelehnten Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge waren rein rechtlich zur Ausreise verpflichtet und hatten sich als letzte Möglichkeit an das Gremium gewandt, teilten Innenminister Holger Hövel-mann (SPD) und die Kommissionsvorsitzende Monika Schwenke am Montag in Mag-deburg mit. Nach Prüfung ihrer Fälle durch die Kommission erteilte ihnen das Minis-terium aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis. Der 2005 gegründeten Kommission gehören Vertreter von Ministerien und gesellschaftlichen Gruppen an.

aus: Naumburger Tagesblatt vom 05.022007

Link: http://www.naumburger-tageblatt.de/ntb/ContentServer?pagename=ntb/ticker& listid=1018973650056&aid=1167825167051

9. Neue Studie über Arbeitslose mit Migrationshintergrund


Bei Arbeitslosen mit Migrationshintergrund reicht die Sprachförderung allein häufig nicht aus, um ihnen den Einstieg in eine neue Beschäftigung zu ermöglichen. Gute Deutschkenntnisse seien zwar eine wichtige Voraussetzung für die Integration in den Arbeitsmarkt, doch aufgrund der oft nur geringen beruflichen Qualifikationen bleibe ein hohes Arbeitslosigkeitsrisiko weiter bestehen, zeigt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Axel Deeke, der Autor der Studie, schlägt deshalb vor, die Betroffenen zusätzlich beruflich zu qualifizieren.

Der Erwerb berufsbezogener Deutschkenntnisse sei für Arbeitslose mit Migrations-hintergrund eine "notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung" für bessere Beschäftigungschancen, schreibt IAB-Arbeitsmarktforscher Deeke. Die Ergebnisse der gemeinsam von der Bundesagentur für Arbeit und dem Europäischen Sozial-fonds (ESF) finanzierten Sprachkurse seien bisher "vergleichsweise unbefriedigend": Von den Teilnehmern in den Jahren 2004 und 2005 waren sechs Monate nach der Maßnahme immer noch mehr als die Hälfte arbeitslos gemeldet.

Grund dafür sei die niedrige Qualifikation der Teilnehmer: Rund die Hälfte der bisher geförderten Personen hat keinen Hauptschulabschluss, fast 90 Prozent können kei-ne abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen. Dies deute laut Deeke darauf hin, dass die Betroffenen "vermutlich auch unabhängig von ihrem Migrantenstatus erheb-liche Probleme am Arbeitsmarkt haben."

Die berufsbezogenen Sprachkurse dürften deshalb jedoch nicht als Misserfolg ge-wertet werden, warnt die IAB-Studie. Vielmehr seien sie bei den gering qualifizierten Arbeitslosen mit Migrationshintergrund als Vorbereitung oder Ergänzung zu einer be-ruflichen Qualifizierung auch künftig sinnvoll.

Für bereits beruflich Qualifizierte sollte die bisherige Strategie, allein berufsbezogene Deutschkenntnisse zu vermitteln, beibehalten werden.

Die IAB-Studie "Arbeitslose mit Migrationshintergrund: Sprachförderung allein greift häufig zu kurz" kann unter
http://doku.iab.de/kurzber/2007/kb0307.pdf abgerufen werden.

aus: Informationsdienst Wissenschaft vom 01.02.2007

Link: http://idw-online.de/pages/de/news194461

10. Flucht nach Europa: 200 Flüchtlinge vor Westafrika aus Seenot gerettet

Ein spanisches Schiff hat rund 200 vor Afrika in Seenot geratene Flüchtlinge gerettet und am Sonntag auf grünes Licht zum Einlaufen in einen mauretanischen Hafen ge-wartet. Das Boot der Flüchtlinge sei am Samstag vor der westafrikanischen Küste zusammengebrochen, erklärte das spanische Außenministerium.

Ein spanisches Rettungsschiff habe die vermutlich vor allem aus Pakistan stammen-den Menschen aufgenommen und sie in den nächsten Hafen bringen wollen. Der Se-negal habe jedoch erklärt, ihm fehle die nötige Ausstattung, die Flüchtlinge aufzuneh-men. Das Nachbarland Mauretanien habe sich hingegen dazu bereit erklärt. Die Ha-fenbehörden müssten noch die Erlaubnis zum Einlaufen des spanischen Schiffes geben.

aus: Der Standard vom 05.02.2007

Link: http://derstandard.at/?url=/?id=2754930

11. „Ich stelle den Islam nicht an den Pranger“ - Interview mit Seyran Ates

Die türkische Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates über einen Neuanfang, Kopftuchzwang und die Angst vor Angriffen

? Seit Ihrem 15. Lebensjahr wollten Sie Anwältin werden - Ihr Traumberuf. Warum haben Sie dann Ihre Lizenz zurückgegeben?

! Seit dem Angriff des Mannes einer Mandantin im Juni vergangenen Jahres auf dem U-Bahnhof Möckernbrücke habe ich riesengroße Angst - nicht nur um mich, sondern um meine zweieinhalbjährige Tochter. Zwei Monate lang ging es mir immer schlechter und im August realisierte ich dann, dass ich überhaupt nicht mehr arbeiten konnte. Ich weiß nämlich, wie gefährlich die Sachen sind, die ich mache. Ich war ja nicht nur Juristin und habe Akten bearbeitet, sondern kümmerte mich um politische Themen. Schließlich merkte ich durch die Angst, ich werde meiner Arbeit nicht gerecht, ich werde meiner Tochter nicht gerecht. Nichts ist mir wichtiger als meine Tochter und meine eigene Gesundheit. Ich brauche aus gesundheitlichen Gründen einen Abstand, eine Auszeit.

? Und wie soll es weitergehen?

! Jetzt sehne ich mich wieder nach meinem Traumberuf. Je besser es mir geht, desto mehr merke ich, dass es kaum eine Alternative gibt.

? Aber Sie schreiben doch gerade an einem Buch.

! Ja, es soll im Sommer erscheinen. Dabei geht es um Ehrenmorde, Zwangsheirat und häusliche Gewalt bei muslimischen Frauen. Einen Titel hat das Buch noch nicht. Das Brentano-Preisgeld werde ich nutzen, um in den kommenden Monaten mein Leben zu finanzieren.

? Und wann arbeiten Sie wieder als Anwältin?

! Nach der Veröffentlichung. Ich werde aber auf keinen Fall als Einzelanwältin ein Büro anmieten und die Arbeit so aufnehmen wie bisher. Deshalb suche ich noch nach einem Weg, wie ich muslimische und deutsche Frauen unterstützen und intensiver betreuen kann - entweder in einer größeren Kanzlei oder als Anwältin in einer Institution. Das weiß ich noch nicht.

? Sie haben über zu wenig Schutz geklagt. Wird Ihnen jetzt geholfen?

! Die Sicherheitsbehörden sind an mich herangetreten, und ich habe den höchstmöglichen Schutz erhalten, der meiner Situation adäquat ist. Meine Klage damals bezog sich nicht nur auf die Polizei, sondern allgemein. Bei dem Vorfall auf dem U-Bahnhof waren viele Menschen und keiner hat geholfen. Das war ein Schock.

? Sind Sie mit Ihrer Kritik nicht manchmal sehr scharf, provozieren und überziehen ganz bewusst?

! Nein. Die Zeit bestätigt mich. Mit sechs Jahren bin ich nach Deutschland gekommen und habe schnell bemerkt, dass ich als Mädchen anders behandelt werde als die Jungen um mich herum. Seit meiner Ankunft 1969 hat sich die Situation für türkische Frauen aber verschlimmert - nicht nur das ganz starke Symbol des Kopftuches auf der Straße. Auch in Frauenhäuser kommen immer mehr muslimische Frauen. Das zeigt die dramatische Lage.

? Gewalt gibt es in vielen Familien, egal welcher Kultur. Warum muss man das mit dem Islam in Zusammenhang bringen?

! Der Islam ist keine schlechtere Religion als Christentum und Judentum. In keiner dieser Religionen sehe ich emanzipatorische Stärken. Es handelt sich stellenweise um frauenverachtende Schriften, etwa im Alten Testament. Ich bin von der deutschen Frauenbewegung infiziert und politisiert und bin ganz klar Feministin. Keine Feministin kann so tun, als ob der Islam die böse Religion ist und Christentum und Judentum die beste Religion. Wir stehen aber beim Islam an einem Punkt, wo das Christentum und das Judentum schon einmal waren. Wir sind einfach zeitversetzt.

? Was meinen Sie?

! Ich stelle nicht den Islam an den Pranger. Ich sage, im 21. Jahrhundert wird versucht, einen Rückschritt ins 7. Jahrhundert zu machen. Und dagegen arbeite ich.

? Sie wollen also mit dem Islam nichts mehr zu tun haben?

! Es ist wie im Judentum. Ich kann den Islam noch so sehr ablehnen. Ich bleibe Muslimin. Ich habe nicht mit dem Islam gebrochen. Ich bete nicht fünf Mal am Tag. Ich trage kein Kopftuch. Ich faste nicht. Manche denken und sagen, dass ich dann mit dem Islam gebrochen habe. Das ist aber nicht so. Ich fühle mich gläubig, glaube an etwas. Welcher Gott zu mir gehört, kann ich nicht benennen. Weltreligionen, so wie sie praktiziert werden, sind allerdings nicht meins. Religion ist eine intime Angelegenheit, das Verhältnis zwischen dem Einzelnen und Gott. Mein Islam ist friedlich, toleriert andere Menschen, kennt Nächstenliebe. In meinem Islam gibt es keine Geschlechtertrennung. Diese alte, patriarchale Struktur und Tradition ist in meinem Islam abgeschafft.

? Das Kopftuch lehnen Sie strikt ab?

! Im Privatleben habe ich überhaupt nichts dagegen - sollen es die Frauen tragen. Das Kopftuch gehört meines Erachtens nicht in die Schule, weder bei Schülerinnen noch bei Lehrerinnen. Es gehört nicht in die Polizei noch ins Fernsehen.

? Dann müssten Nonnen auch ihre Tracht ablegen.

! Die Nonnentracht zählt für mich fast zur Berufsbekleidung. Das Kopftuch wirkt auf mich und andere als Zeichen der Unterdrückung der Sexualität der Frau. Es ist ein politisches Symbol, soll die Schönheit der Frau bedecken. Klargestellt wird dadurch, dass die Geschlechter nicht gleich sind - das Bild, das im Koran auch existiert. Es steht eben noch für sehr viel mehr als nur die religiöse Zugehörigkeit.

? Warum der Widerspruch zwischen Christentum und Islam?

! Ich sehe das nicht als Widerspruch. Nonnen haben sich in einem freiwillig entschieden, mit Jesus ein Band einzugehen und ihr Leben metaphysisch zu gestalten. Anders als im Mittelalter, wo Frauen als Strafe ins Kloster geschickt wurden. Beim Kopftuch denke ich an diejenigen, die in einem System stecken, das verbietet, das Kopftuch beim Gang aus dem Haus abzulegen. Dann rege ich mich auf.

? Bekommen Sie Unterstützung von Migrantenorganisationen?

! Von der Türkischen Gemeinde und anderen großen Gruppen spüre ich keinerlei Hilfe. Ich erwarte nicht unbedingt Solidarität mir gegenüber, sondern dass sie sich der gesellschaftlichen Missstände wie Zwangsheirat und Ehrenmorde annehmen. Dafür erhalten diese Gruppen schließlich Geld.

? Die machen schon so manches.

! Diese Gruppen hätten schon vor zwanzig Jahren aktiv werden müssen. Aufgegriffen worden sind die Themen erst, als wir Frauen darauf aufmerksam machten. Missbrauch in Migrantenfamilien ist das nächste Thema. Und dann wird es heißen, da wird wieder schlecht über den Islam gesprochen. Dabei ist es das große Thema der Zukunft. Ich bin auch noch nie in eine Moschee eingeladen worden, um meine Ansichten zu erläutern.

? Was wäre, wenn Ihre heute zweieinhalb Jahre alte Tochter Ihnen später mal erklärt, sie möchte streng orthodox-muslimisch leben?

! Das wäre der Albtraum. So wie ein Alt-68er plötzlich mit seinem Kind, einem Skinhead, über die "Holocaustlüge" in seinem Wohnzimmer diskutieren müsste.

aus: Berliner Zeitung vom 05.02.2007 (Interview von Marlies Emmerich)

Link: www.berlinonline.de/berliner-zeitung/print/berlin/626250.html

12. Buch-Tipp: „Zwischen Ramadan und Reeperbahn“ von Rita Breuer

In Deutschland leben rund 3,5 Millionen Muslime. Viele von ihnen sind gläubig und praktizieren ihre Religion. Doch dies bringt oft Probleme mit sich. Wenn eine Musli-min oder ein Muslim ein gottesfürchtiges Leben führen möchte, so haben sie oft Schwierigkeiten, dies in der hiesigen säkularen Gesellschaft umzusetzen. Denn der Islam kennt keinen Unterschied zwischen der profanen und der religiösen Sphäre; das ganze Tun und Handeln eines Muslims wird von seiner Religion bestimmt. Dies hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche: So stellen sich für Muslime oft Fragen wie „Soll meine Tochter am Schwimmunterricht teilnehmen?", „Darf ich zum Woh-nungskauf Kredite aufnehmen?" oder „Darf ich meinen christlichen Nachbarn ‚Frohe Weihnachten" wünschen?".

In dem im Freiburger Herder-Verlag erschienenen Buch „Zwischen Ramadan und Reeperbahn - die schwierige Gratwanderung der muslimischen Minderheit" (ISBN 3-451-05783-2 bzw. ISBN 978-3-451-05783-0) zeigt die Islamwissenschaftlerin Rita Breuer auf anschauliche Weise, welche Antworten es gibt. Das Buch kostet 8,90 Euro und kann portofrei bezogen werden über die "vorwärts:buchhandlung + anti-quariat" im Willy-Brandt-Haus, Stresemannstraße 28, 10963 Berlin, Telefon: 030/25299-871, Fax: 030/25299-872, E-Mail: info@vorwaerts-buchhandlung.de

13. Kino-Tipp: „Das Fräulein“ von Andrea Štaka


Berlinale-Gewinnerin Jasmila Zbanic zeigte im letzten Jahr mit ihrem Mutter-Tochter-Drama "Esmas Geheimnis" das Bosnien von heute in einem gänzlich anderen Licht. In eine ganz ähnliche Richtung geht nun auch Andrea Štakas Debütfilm "Das Fräu-lein", mit dem Unterschied, dass die Geschichte nicht in Sarajevo, sondern in Zürich spielt. Štaka, in der Schweiz 1972 als Tochter bosnisch-kroatischer Einwanderer geboren, erzählt von drei unterschiedlichen Frauen, deren Gemeinsamkeit auf den ersten Blick nur die alte Heimat ist.

Die Serbin Ruža (Mirjana Karanovic, Hauptdarstellerin aus "Esmas Geheimnis") führt in Zürich eine farblose Betriebskantine mit bescheidenem Erfolg, in der auch die älte-re kroatische Dame Mila (Ljubica Jovic) arbeitet. Beide haben vor über 20 Jahren ihr Heimatland verlassen und in der Fremde eine neue Existenz aufgebaut, die sich al-lerdings nach all den Jahren noch immer fremd anfühlt. Genauso unnatürlich wirkt es, wenn die beiden auf Deutsch miteinander sprechen. Geschäftsführerin Ruža gibt klare Anweisungen: In ihrer Kantine ist die alte Heimatsprache unter den Angestell-ten ein großes Tabu. Viele ehemalige jugoslawische Gastarbeiter/innen und Kriegs-flüchtlinge kommen hierher, um sich gegenseitig mit ihren Rückkehrfantasien zu übertrumpfen. Ein Haus im Heimatdorf will meistens angeblich schon gekauft oder gebaut worden sein. Die Realität sieht meist anders aus.

Ihr trister Alltag wird eines Tages durch die junge Bosnierin Ana (Marija Škaricic) auf-gehellt, die per Anhalter in die Schweiz gereist ist und für kurze Zeit in der Kantine anheuert. Ana leidet unter einer schweren Krankheit, von der vorerst niemand erfahren wird. Doch etwas brodelt in ihr, als müsse sie einer geheimen Mission fol-gen, eine unerledigte Aufgabe bewerkstelligen. Sie und die neuen Kolleginnen be-gegnen sich zaghaft und unterkühlt, erst nach einigen gemeinsamen Wochen wagt man erste private Gespräche, die sich immer wieder um die gemeinsame Herkunft und das Leben nach dem Krieg drehen.

Andrea Štaka porträtiert ihre drei Figuren ohne große Sentimentalität, obwohl sie sich vor Sehnsucht nach einem alten Leben verzehren, das – wohl wissend – nie mehr wiederkommen wird. Die Schweizer Regisseurin erliegt nicht der Versuchung, ihr Publikum mit exaltierter Gefühlsduselei und emotional-aufgeladener Musik zu umgar-nen. Stattdessen spürt sie Momente auf, die sich in erster Linie einfach nur leer und taub anfühlen. Um diesen Schwebezustand geht es in diesem beeindruckenden Dra-ma, das beschreibt, was Menschen bewegt, die Gefahr laufen, ihre Vergangenheit und gleichzeitig die Zukunft aus den Augen zu verlieren. Štakas Figuren aus dem ehemaligen Jugoslawien sind so entwurzelt, dass die junge Ana sagt: "Manchmal habe ich so starke Sehnsucht, dass es mir schwer fällt zu atmen." Das kann mitunter auch für die Zuschauer/innen zäh wirken, doch der spärlich eingesetzte Humor und das Auftauen der Frauen zueinander sorgen dafür, dass man sich für diese Leere nach und nach auch begeistern kann. Wie in jedem guten Drama schafft es auch Štaka, ihre Figuren genau in den Situationen zu zeigen, in denen es scheinbar kei-nen Weg mehr weiter gibt. Die Stärke, ein wenig über sich hinauszuwachsen, liegt auch ihren Frauen zugrunde.

Für die Regisseurin ist "Fräulein" ein ambivalenter Begriff, "ein Neutrum, kein Mäd-chen, keine Frau, wie eine Frau ohne Mann oder ein Jugoslawien ohne Heimat". Zu-dem sei es ein zutiefst helvetischer Ausdruck: die Ansprache, in der man im Café oder im Restaurant zu sich an den Tisch ruft: "Fräulein, zahlen bitte!" Zwar kann der Film nicht ganz mit der erzählerischen Kraft von "Esmas Geheimnis" mithalten, den-noch bleibt er in seiner Bescheidenheit ein berührendes Drama über das schwere Leben in der Diaspora dreier Frauen ganz unterschiedlicher Generationen. Bei den Filmfestspielen im schweizerischen Locarno wurde "Das Fräulein" 2006 mit dem Goldenen Leoparden als bester Wettbewerbsfilm ausgezeichnet.

Das Fräulein, Schweiz, Deutschland 2006, Buch und Regie: Andrea Staka, mit Mirja-na Karanovic, Marija Skaricic, Ljubica Jovic, Andrea Zogg, Zdenko Jelèic, Pablo Aguilar, David Imhoof, Sebastian Krähenbühl , OmU, Kinostart: 25. Januar 2007

aus: fluter-FILM-TELEX Januar/4 vom 30.01.2007

14. TV-Tipps

>>> Di, 06.02.2007, Phoenix, 20.15 Uhr: Mit Gottes und Allahs Segen

von christlich-muslimischen Hochzeiten

Können Christen und Muslime friedlich zusammenleben? Während in Zeitungen vom Kampf der Kulturen die Rede ist, müssen Christen und Muslime im deutschen Alltag miteinander auskommen. Immer häufiger fragt man sich, wie Integration gelingt. 'Auf-einander zugehen' schlagen Politiker vor, und genau das haben die Protagonisten dieses Films schon ganz im Stillen getan. Sie sind aufeinander zugegangen. Wie die Kirchen fordern, haben sie einen 'intensiven Dialog' geführt und sie haben sich - das kann passieren - ineinander verliebt. Dass eine solche Liebe nicht notwendigerweise mit Drohungen und Ehrenmord enden muss, erzählen zwei christlich-muslimische Paare und ihre Familien.

Anna will ihren muslimischen Freund Ala unbedingt in einer katholischen Kirche hei-raten. Und Christian, streng katholisch erzogen, plant mit seiner Verlobten Oya eine traditionell türkische Hochzeit. Monatelang wird das ungewöhnliche Ereignis vorbe-reitet. Anna und Ala drehen ein Hochzeitsvideo für die Verwandten. Annas Mutter gibt zu, dass sie sich eigentlich einen katholischen Schwiegersohn gewünscht hätte. Christian fasst einen weit reichenden Entschluss und stellt sich der muslimischen Ge-meinde seiner Braut vor. Die Paare steuern unbeirrt den Ehehafen an.

Und wer es nicht glauben will, wird sehen: Es geht. Islam und Christentum jenseits von Krieg, Bomben und Aufruhr in den Städten. Die Geschichten, die der Film er-zählt, sind nicht Sciencefiction, sondern gelebte Utopie: zwei ungewöhnliche Liebes-geschichten des 21. Jahrhunderts.

Die Protagonisten: Anna und Ala Die Steuerfachgehilfin Anna lernte ihren muslimi-schen Freund Ala an Fasching in München kennen. Beide gingen damals noch zur Schule. Ala stammt aus dem Irak. Anfangs trafen sie sich heimlich, denn es dauerte eine ganze Weile, bis Annas Familie der Hochzeit zustimmte.

Oya und Christian: Christian ist IT-Manager in Köln - seine Mutter legte Wert auf eine katholische Erziehung. Oya ist Einkäuferin in einer Baufirma. Als Kind einer Gastar-beiterfamilie wurde sie nach türkischen Wertvorstellungen erzogen. Oyas Mutter wünschte sich immer schon eine große türkische Hochzeit für ihre einzige Tochter.

>>> Di, 06.02.2007, arte, 21.25 Uhr: Die Sache - Feldzug gegen ein Tabu

FGM - Die Verstümmelung der Töchter


Vor sechs Jahren haben Rüdiger Nehberg und Annette Weber mit ihrer Menschen-rechtsorganisation Target einen Feldzug gegen diese brutale Tradition der weibli-chen Genitalverstümmelung in Afrika begonnen und von Anfang an alles mit der Kamera dokumentiert, darunter auch die Beschneidung der kleinen Fatuma. Die schockierenden Bilder, hier zum erstenmal einer breiten Öffentlichkeit vorgeführt, rüttelten endlich auch die höchsten Rechtsgelehrten und Religionsführer aus vielen islamisch geprägten afrikanischen Staaten auf. Sie hatten sich auf Einladung von Target Ende November 2006 in Kairo versammelt, um über die bisher mit dem Koran begründete Rechtfertigung des mehr als 4.000 Jahre alten Rituals zu diskutieren.

Das grandiose Ergebnis: Einstimmig wurde die weibliche Genitalverstümmelung als nicht mit dem Islam vereinbar, als Verbrechen und zur "Sünde" gegen das Gebot der Unversehrbarkeit des weiblichen Körpers erklärt und ihre Abschaffung eingeleitet.

Betroffen sind 160 Millionen Mädchen und Frauen weltweit, vornehmlich in 28 afrika-nischen Staaten oberhalb des Äquators sowie einigen asiatischen Ländern. Alle zehn Sekunden wird - immer noch - ein Mädchen verstümmelt.

Der Film zeigt die jahrelange engagierte Aufklärungskampagne der beiden Men-schenrechtler mit ihrer "Pro Islamischen Allianz", die in Mauretanien, Djibouti und Äthiopien bereits nachweislich Erfolge aufweist. Mehrere Wüstenkonferenzen, die Einrichtung einer fahrenden Krankenstation und ihre Kooperation mit dem Islam ha-ben die Menschen beeindruckt. In den besuchten Gebieten ist die Genitalbeschnei-dung zurückgegangen.

Im Mittelpunkt der Dokumentation steht jedoch die Geschichte von Amina, einem heute zwölfjährigen Mädchen aus dem Nomadenstamm der Afar in der Danakil-Wüs-te im Osten Äthiopiens.Amina wurde als Siebenjährige nach Sitte ihres Stammes "pharaonisch" brutal beschnitten. Weber und Nehberg haben eine Patenschaft für sie übernommen und lassen das Mädchen nun in Addis Abeba zur Schule gehen und ausbilden.

Im Sommer 2006 begleitete die Hamburger Filmemacherin Heike Mundzeck die bei-den Menschenrechtler und ihr Kamerateam nach Äthiopien. Dargestellt werden von der Autorin und Regisseurin auch die historischen Hintergründe, die soziologische Bedeutung und die medizinischen Formen und Folgen der auch FGM genannten Ge-nitalverstümmelung in drei Ländern, in denen die Rate zwischen 70 und 90 Prozent liegt.

Betroffene Frauen, Ehemänner, Brüder, Kritiker, ein Arzt, eine Ärztin, ein Lehrer, eine Kulturwissenschaftlerin geben Auskunft über das Ritual und seine Auswirkungen. So soll der Film nicht nur dokumentieren, sondern auch aufklären und zum Engagement auffordern: gegen eine der grausamsten Menschenrechtsverletzungen an Mädchen und Frauen, eine lebensgefährliche Folter, denen zumeist Mädchen unter zwölf Jah-ren hilflos ausgeliefert sind und an der ein Drittel von ihnen unmittelbar oder an den Folgen stirbt.

>>> Di, 06.02.2007, ARD, 22.45 Uhr: Menschen bei Maischberger

Im Zweifel gegen den Angeklagten? Muslime unter Verdacht


Sandra Maischberger im Gespräch mit Manfred Gnjidic, Anwalt von Khaled el Masris, Bernhard Docke, Anwalt von Murat Kurnaz, Volker Bouffier, hessischer Innenminis-ter, Henryk M.Broder, Journalist, Bestsellerautor und Jürgen Fliege, Pfarrer, TV-Mo-derator

>>> Di, 06.02.2007, hr, 22.45 Uhr: Tanz der Derwische - Sufis in der Türkei

Mit dem Islam verbindet man im Westen zunehmend Fanatismus, aufgewiegelte Massen und Terrorismus. Dabei hat er für die meisten Muslime ein ganz anderes Ge-sicht: das einer Religion, die geprägt ist von der Suche nach Frieden, nach dem Aus-gesöhntsein mit sich selbst und mit der Welt. Der Film von Martin Weinhart beschäf-tigt sich mit der spirituellen Seite des Islam, dem Sufismus. Er führt in die Türkei, nach Konya, einem der wichtigsten Zentren des weltabgeschiedenen und unpoliti-schen Islams. Konya wird auch "Stadt der tausend Moscheen" genannt. Aber be-rühmt ist sie, weil sie die Heimat der tanzenden Derwische ist. Die weißgewandeten Wirbeltänzer mit ihren typischen hohen Filzhüten sind bekennende Sufis und in Bru-derschaften organisiert.

Obwohl Atatürk, der Gründer der säkularen Türkei, sie 1925 verboten hatte, sind sie bis heute Tourismus- und Folkloresymbol der Türkei. Muslime aus aller Welt pilgern nach Konya, um am Grab des Dichters Dschelaleddin Rumi zu beten. Er ist der Gründer der türkischen Sufiorden. Aber auch Nichtgläubige besuchen seinetwegen die zentralanatolische Zweimillionenstadt, einfach weil sie Fans seiner Verse sind. In den USA ist der im Jahr 1273 verstorbene Poet der am meisten gelesene Mystiker. Sogar Stars wie Madonna und Demi Moore ließen sich von ihm inspirieren. Zu seiner Popularität mag vor allem eine Lebensgeschichte beigetragen haben, die mehr als hollywoodtauglich ist: zum einen seine Vision der göttlichen Liebe, zum anderen eine mystische "Amour fou" zu einem Wanderderwisch, die am Ende dazu führte, dass Rumi sein Geistlichengewand ablegte, um fortan nur noch zu tanzen und zu dichten. Obwohl die Sufis immer wieder in Konflikt mit der muslimischen Orthodoxie gerieten, die Musik und Tanz vollständig ablehnt, gilt ein Besuch an Rumis Grab für die meis-ten Gläubigen als "kleine" Pilgerfahrt - als Ersatz der "großen", der Hadsch nach Mekka. Der Film folgt einer der zahlreichen privaten Derwischgruppen von Konya; ihr Oberhaupt ist der Mechaniker Nadir Karnibüyük. In aufwändig gedrehten Szenen führen er und seine Ordensbrüder das mehr als 700 Jahre alte Sufitanzritual auf, die sogenannte Sema, auch Himmelstanz genannt. Filmautor Martin Weinhart hat ihre Auftritte in beeindruckenden Architekturen und gewaltigen Landschaften inszeniert. Einer der Höhepunkte des Films ist die so genannte Dhikr, eine ekstatische Sufi-Atem-Meditation, die bei den Derwischen als stärkstes Mittel gegen Angst und De-pressionen gilt. Der Zuschauer erlebt eine in orientalischem Glanz erstrahlende Me-tropole zwischen aussterbendem Handwerk und World Wide Web - beispielhaft für eine Türkei auf dem Weg nach Europa.

>>> Mi, 07.02.2007, BR, 06.30 Uhr: Mit Kopftuch und Computer

Jung, erfolgreich, muslimisch

Man sieht ihr nicht an, dass sie Muslima ist. Sahinder Capras ist Anwältin, speziali-siert auf Familienrecht. Sie hat immer wieder mit Ehetragödien zu tun: "Viele Männer missbrauchen den Islam, um Frauen zu unterdrücken." Ganz anders Bilghehan Köh-ler: "Der Islam gibt mir als Frau unheimlich viele Rechte." Die Archäologin untersucht die römische Geschichte des Rheinlands. Auch bei Ausgrabungen trägt sie ihr Kopft-uch.

Zwei Musliminnen in Deutschland: In ihrer religiösen Praxis unterscheiden sie sich - traditionell-islamisch die eine, liberal-säkular die andere. Für sie ist der Islam kein Karrierehindernis. Beide fühlen sich als Teil der deutschen Gesellschaft. Kommt es zu Konflikten zwischen deutscher Lebensart und religiöser Überzeugung? Die Frau-en gewähren Einblick in ihren Alltag.

>>> Do, 08.02.2007, hr: Von Türkischtürken und Deutschtürken

Türken in Deutschland - Wissen und mehr

Seit 1961 sind Millionen Türken als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, oft, um Arbeiten zu verrichten, die Deutsche nicht machen wollten. Heute leben sie be-reits in der dritten Generation in Deutschland. Während jedoch die einen in der deut-schen Lebensweise heimisch geworden sind und oft nur noch ihr Name an ihre Her-kunft erinnert, sind die anderen in ihrer Kultur verwurzelt geblieben und sehen in der Annäherung an die deutsche Lebensweise eine Gefahr, ihre Identität zu verlieren. Der Film erzählt die Zeit der Anwerbung und die Zeit der ersten Jahre für die türki-schen "Gastarbeiter" in der Bundesrepublik. Türken der zweiten und dritten Genera-tion mit unterschiedlichen Biografien und Prägungen berichten über ihr Leben in Deutschland.