Kurden-Konflikt (I): Der fremde Krieg
Geschrieben von jnwwebmaster am November 02 2007 08:44:39

Kurden-Konflikt (I): Der fremde Krieg

 

Wo ist Kurdistan? Es hängt an einer Wand in Berlin-Kreuzberg, gerahmt und hinter Glas. Eine dicke rote Linie zieht sich über diese Landkarte des Nahen Ostens, etwa in Form einer Niere, allerdings in der Größe Frankreichs. Die kurdische Niere be-deckt nicht nur den gesamten Südosten der Türkei, angefangen dort, wo das Mittel-meer aufhört. Die rote Linie zieht sich zuerst in einem großen Bogen nach Nordosten in Richtung Armenien, fällt dann steil gen Süden ab, bezieht große Teile des Iran ein, bis sie auf der Höhe von Bagdad wieder nach Westen einschwenkt, dann nach No-rden. Der Nord-Irak und Grenzgebiete in Syrien werden noch mitgenommen, dann ist man wieder am Mittelmeer.

 

Einen Staat mit diesen Grenzen und diesem Namen, Kurdistan, hat es nie gegeben. Es ist eine Art kartografierte Sehnsucht, die hier an einer Wand in Kreuzberg hängt, erster Stock Hinterhof, direkt hinter dem riesigen schmutzigen Neubaublock am Kott-busser Tor. Hier sind die Vereinsräume des Kurdischen Zentrums in Berlin, ein ein-getragener Verein, den es schon mehr als zwanzig Jahre gibt. "Navenda Kurdi" steht auf einem selbstgemalten Schild an der roten Metalltür. Drinnen, gegenüber von der Kurdistan-Landkarte, sitzt Abdulmomin Dashti, Kurde aus dem Irak, ein gesetzter Herr mit strengem Gesichtsausdruck. Man merkt ihm die Anspannung an, die ihn in diesen Tagen umtreibt. Er und Nazire Karaman, eine schmale Frau von Ende 30 mit ernstem Blick, leiten an diesem späten Dienstagnachmittag so etwas wie eine Kri-sensitzung. Sie haben vor kurzem ein "Kurdistan-Komitee" gegründet, das, wie sie sagen, von Vertretern der an die dreißig kurdischen Vereine in Berlin unterstützt wird. Heute sind nur eine Handvoll Teilnehmer im Raum, Abdulmomin Dashti ist ihr Spre-cher, Nazire Karaman ist zugleich Mitglied im Berliner Integrationsbeirat, der den Se-nat in Migrationsfragen berät.

 

Sie sitzen hier beisammen, weil es seit dem vergangenen Wochenende in Berlin eine neue Gefahr zu geben scheint: die Gefahr, dass der Konflikt zwischen Kämpfern der in Deutschland verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der türkischen Armee im Grenzgebiet zum Irak auch in der deutschen Hauptstadt zu gewaltsamen Ausein-andersetzungen führt. Es gab am vorigen Wochenende zwei Demonstrationen: eine fast vollständig friedliche von Kurden am Sonnabend, die gegen die türkischen Pläne eines Einmarsches in den Nord-Irak protestierten; und eine pro-türkische von Natio-nalisten am Sonntag, die die Anschläge der PKK verurteilten. Der Aufmarsch der Na-tionalisten geriet außer Kontrolle, weil jugendliche Teilnehmer in Kreuzberg und Neu-kölln plötzlich auf "Kurdenjagd" gingen, wie sie selbst skandiert haben sollen. Sie warfen Steine und Flaschen, etliche Polizisten wurden verletzt. Ein Kurde, sagt Ab-dulmomin Dashti, habe eine schwere Kopfwunde erlitten und liege derzeit im Kran-kenhaus. Es habe eine Art "Pogromstimmung" geherrscht, sagen Beobachter. Die Polizei war auf diese Eskalation nicht eingestellt, es gab keine Hinweise auf poten-zielle Gewalttäter, hieß es, nachdem die Beamten am Sonntag ziemlich hastig Hun-derte von Kollegen zusammentrommeln mussten, um die Lage wieder zu beruhigen.

 

Abdulmomin Dashti sagt, es habe zugleich ähnliche nationalistische Demonstratio-nen in Belgien und Holland gegeben, auch anderswo in Europa. Die Teilnehmer hätten sich überall der "Formensprache" der sogenannten Grauen Wölfe bedient, einer rechtsnationalen türkischen Organisation, die in Berlin auch unter dem Namen "Türk Federasyon" auftritt. Diese internationalen Proteste, gefeiert von türkischen Medien als Anti-PKK-Erhebungen, seien vom türkischen Geheimdienst gesteuert, glaubt Dashti. "So spontan, wie die getan haben, entsteht so etwas nicht." Die tür-kischen Sender und Zeitungen, auch die in Deutschland erhältlichen wie Milliyet und Hürriyet, heizten mit ihrer Berichterstattung die Lage noch an, sagt er. "Die Men-schen werden aufgehetzt."

 

Dass dies nur der Auftakt zu weiteren Auseinandersetzungen sein könnte, befürch-ten nicht nur die Kurden. Berlins Innensenator Ehrhart Körting warnte alle Beteiligten und drohte schon mit Ausweisungen. Sogar der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, der sich bei Sicherheitsthemen normalerweise höchst selten zu Wort meldet, rief dazu auf, internationale Konflikte doch bitte nicht in die deutsche Haupt-stadt zu tragen. Vor allem der 5. November bereitet jetzt vielen Politikern Sorgen. An diesem Tag wollen sich der amerikanische Präsident Bush und der türkische Regie-rungschef Erdogan treffen. Viele erwarten, dass Bush zumindest begrenzte Einsätze der türkischen Armee gegen die PKK in Nord-Irak unterstützen wird. Und dann? "Es gibt eine große Gefahr, dass die Gewalt hierher kommt", sagt Abdulmomin Dashti. "Es wird viel von den alten Konflikten wieder aufbrechen", sagt Nazire Karaman. Sie habe es nicht überrascht, erklärt sie, dass es Ausschreitungen in Berlin gab. "Das ist die Fortsetzung der türkischen Politik." Beide betonen, dass die kurdischen Vereine die Gewalt ablehnen, auch wenn sie von kurdischer Seite ausgehe. "Diese Dinge müssen friedlich und demokratisch gelöst werden", sagt Dashti. Man wolle versu-chen, auf die eigenen aufgebrachten Jugendlichen, die sich jetzt auch radikaler ge-bärden, einzuwirken und sie von Gewalttätigkeiten abzuhalten. "Aber es kann immer einzelne geben, die sich nicht beeinflussen lassen", sagt Dashti.

 

Bislang gab es nur ein paar Verletzte, nichts Dramatisches für Kreuzberger Verhält-nisse. Doch die jüngste Gewalt wirkt unberechenbar, weil sie mit großen Kriegen und uralten Fehden in einem fernen Ausland zu tun hat. Sie hat besonders die Deutschen überrascht - und macht plötzlich auf eine Unterscheidung aufmerksam, die Deutsche auch im Vielvölkerstadtstaat Berlin kaum vornehmen, weil sie sich nicht dafür interes-sieren und weil sie es nicht gewohnt sind. Es ist die Unterscheidung zwischen Kur-den und Türken.

 

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aus: Berliner Zeitung vom 01.11.2007 (von Jan Thomsen)