Streit über Aufnahme von Irakern
Geschrieben von jnwwebmaster am September 27 2008 09:32:08

Streit über Aufnahme von Irakern

Eine Irakerin beim Gebet im Bagdader Stadtteil Dora

Eine Irakerin beim Gebet im Bagdader Stadtteil Dora

17. April 2008 Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth hat Pläne der Bundesregierung kritisiert, lediglich Christen aus dem Irak in Deutschland aufzunehmen. „Das was Schäuble vorschlägt und hoffentlich bei den Innenministern durchsetzt, ist ein wichtiger, aber längst überfälliger Schritt“, sagte Roth der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Doch das reicht überhaupt nicht aus.“

Wie zuvor schon Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sprach sich auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), am Mittwoch für die Aufnahme verfolgter irakischer Christen in Deutschland aus. Deutschland solle bei der Aufnahme dieser Menschen unabhängig von den Entscheidungen anderer europäischer Länder schnell handeln, forderte Böhmer. „Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir den verfolgten Christen schnell helfen“, sagte sie. Die am Abend beginnende Innenministerkonferenz wollte im brandenburgischen Bad Saarow über das Thema beraten.

„An Schäbigkeit nicht zu überbieten“

Die Grünen-Vorsitzende kritisierte die deutsche Flüchtlingspolitik insgesamt, die „an Unglaubwürdigkeit und Schäbigkeit kaum zu überbieten“ sei. Sie verwies auf den bayerischen Ministerpräsidenten Beckstein (CSU), der durchzusetzen versucht habe, Flüchtlinge in den Irak auszuweisen. „Was überhaupt nicht geht, ist, dass weiterhin geglaubt wird, man könne weiterhin in Teile des Irak abschieben, also in den Norden.“

Kirche in Bagdad

Kirche in Bagdad

Es sei „unsäglich“, dass die Bundesländer sich gegenseitig in Inhumanität überbieten wollten. „Bayern ist Vorreiter, was Abschiebungen in den Irak angeht. Und Hamburg war der Vorreiter, was Abschiebungen nach Afghanistan angeht“, sagte Frau Roth und fügte in Anspielung auf die schwarz-grünen Koalitionsverhandlungen in Hamburg hinzu: „Ich betone, dass es das hoffentlich war und nicht mehr ist.“

Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Herta Däubler-Gmelin (SPD), hingegen warnte davor, ausschließlich verfolgten Christen aus dem Irak Asyl zu gewähren. Damit spiele man den Islamisten in die Hände, die eine religiöse Trennung beabsichtigten. „Wir sollten auch Christen aufnehmen, weil sie sehr bedrängt sind, aber nicht nur Christen“, sagte die ehemalige Bundesjustizministerin in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst am Mittwoch.

Amnesty International-Generalsekretärin Irene Khan

Amnesty International-Generalsekretärin Irene Khan

Amnesty: Nicht nur Christen aufnehmen

Die Gewalt und die schwierigen Lebensbedingungen im Irak haben zu einer Flüchtlingswelle von Angehörigen religiöser, vor allem christlicher Minderheiten, in die Nachbarländer Jordanien und Syrien und andere Staaten der Region geführt. Nur noch ein Drittel der ursprünglich 1,2 Millionen irakischer Christen sollen im Lande verblieben sein. „Es sollte eine angemessen hohe Zahl von Irakern aufgenommen werden, die der Aufnahmefähigkeit und Wirtschaftskraft Deutschlands entspricht“, forderte Däubler-Gmelin.

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Deutschland aufgefordert, außer verfolgten Christen weitere Flüchtlinge aus dem Irak aufzunehmen. „Ich hoffe, dass die deutsche Regierung auch anderen Gruppen helfen will“, sagte Amnesty-Generalsekretärin Irene Khan in Brüssel. Khan reagierte damit auf den Plan von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), gezielt verfolgten Christen aus dem Irak einen Schutz in Deutschland anzubieten.

„Aus Gründen der Glaubwürdigkeit sollte die deutsche Regierung - etwa über das UN-Flüchtlingshilfswerk - auch anderen Flüchtlingen in schwieriger Lage eine Schutz anbieten“, sagte Khan. Wichtig sei es, den Flüchtlingen die Wahl zu lassen. „Man muss die Betroffenen fragen, was sie wollen“, sagte die Amnesty-Generalsekretärin. Das gelte auch für die Frage einer längerfristigen Ansiedlung in Deutschland: „Es sollte den Betroffenen überlassen bleiben, ob sie dauerhaft bleiben oder bald zurückkehren wollen.“

Vorbild Vietnam-Flüchtlinge

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl sprach sich für die dauerhafte Aufnahme eines Kontingents von rund 30.000 Flüchtlingen aus dem Irak aus. Angesichts der Katastrophe, dass mehr als zwei Millionen Flüchtlinge in den Nachbarstaaten des Irak ohne eine realistische Hoffnung auf Rückkehr lebten, solle Deutschland das Kontingent ohne die Hürden des individuellen Asylverfahrens aufnehmen, sagte Referent Bernd Mesovic am Mittwoch in Frankfurt.

Pro Asyl appellierte an die Innenministerkonferenz, den irakischen Flüchtlingen ein dauerhaftes Bleiberecht, Integrationskurse und den Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren. Würden die Flüchtlinge auf die Bundesländer verteilt, hätte etwa Hessen rund 2000 Menschen aufzunehmen, Sachsen-Anhalt 900. Ein Vorbild sei die Aufnahme der 30.000 vietnamesischen „Boat People“ in den siebziger Jahren. Damals habe Deutschland Unterkünfte, Sprachkurse und weitere Unterstützung bereitgestellt und die Flüchtlinge gut integriert.

Immer weniger Asylbewerber werden anerkannt

In das Kontingent aufgenommen werden sollen nach den Worten von Mesovic diejenigen Flüchtlinge, die vom Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen als besonders schutzbedürftig bezeichnet werden. Dazu gehörten religiöse Minderheiten wie Christen, Jeziden und Mandäer. Der Pro-Asyl-Referent wies darauf hin, dass Deutschland in den achtziger und neunziger Jahren meist eine sechsstellige Zahl von Asylbewerbern aufgenommen habe. Im vergangenen Jahr hätten weniger als 20.000 Menschen ein Asyl in Deutschland beantragt.

Auch die ehemalige Justizministerin Däubler-Gmelin unterstützte die Forderung nach einer Quote. Sie appellierte an die Innenminister von Bund und Ländern, sich bei ihrer Frühjahrstagung auf eine Quote zu einigen. Diese Quote könne an den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen gegeben werden, der dann die am meisten Hilfsbedürftigen auswähle. Die Flüchtlinge müssten in Deutschland einen sicheren Aufenthaltsstatus bekommen.



Text: FAZ.NET
Bildmaterial: AFP, AP, F.A.Z.