Die Irakfalle der PKK
Geschrieben von jnwwebmaster am October 25 2007 14:31:44

Die Irakfalle der PKK

Grünen-Abgeordneter Nouripour warnt vor Eskalation im Nordirak

Moderation: Bettina Klein

Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hofft, dass sich die türkische Führung bei ihrem Vorgehen gegen kurdische Rebellen nicht in den Irakkrieg hineinziehen lässt. Die PKK habe stark an Rückhalt in der Bevölkerung verloren und versuche deshalb, durch gezielte Provokationen an Relevanz zu gewinnen.

Bettina Klein: Die Situation in Kuba dürfte der Regierung in Washington in Wahrheit noch nicht mal so viel Kopfschmerzen bereiten, wie im Augenblick die heikle Lage im Nordirak. Dort geht die Türkei gegen Stellungen der PKK vor, eine größere Militäroperation nicht ausgeschlossen. Das passt den USA einerseits gar nicht, denn im Irak galt der kurdisch besiedelte Norden noch als halbwegs stabil, mehr Kummer ist im Land nicht von Nöten, andererseits kann Washington sich auch nicht zu drastisch vom wichtigsten Verbündeten in der Region und NATO-Partner distanzieren. Wie sinnvoll auf die Situation zu reagieren ist, darüber möchte ich jetzt sprechen mit Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter der Grünen, selbst geboren in Teheran und Mitglied im Europaausschuss, schönen guten Morgen.

Omid Nouripour: Guten Morgen.

Klein: In den vergangenen Tagen, so hörten wir gestern, konnten auch Bilder im Fernsehen sehen, hat die türkische Armee bereits PKK-Stellungen angegriffen. Haben Sie das Gefühl, können wir alle das Gefühl haben, wir sind wirklich im Bilde darüber, was sich im Moment im Nordirak abspielt?


Nouripour: Na ja, wir haben eine Situation der Eskalation und dort wird natürlich sehr viel auch mit Fehlinformation gezielt gearbeitet. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Angriffe der Türkei am Sonntag geschehen und wir erst am Mittwoch davon erfahren. Allerdings muss man gleichzeitig auch sehen, dass diese Situation nicht neu ist, sondern die Folge von einer Entwicklung, die ist mehrere Monate alt und deshalb war vieles davon, was jetzt passiert keine Überraschung. Der Generalstab der Türkei drängt seit spätestens März 2007 darauf, dass die Türkei mehr interveniert. Das ist schon alles, ich will nicht sagen transparent, aber die Informationen liegen schon seit Längerem alle auf dem Tisch. Dass man einzelne Details nicht mitbekommt oder falsch informiert wird, das ist in einer solchen unübersichtlichen Lage normal.

Klein: Aber Sie gehen schon von einer neuen Qualität dessen aus, was sich da abspielt?


Nouripour: Ja, selbstverständlich. Dass das türkische Parlament nun der Regierung so etwas wie einen Blankoscheck gegeben hat, das ist neu. Dass jetzt die Regierung alle Befugnisse hat, auch größere militärische Operationen im Nordirak durchzuführen, ist etwas, was vor einem halben Jahr noch nicht denkbar bar. Da dachte man eigentlich, dass die AKP die Bastion ist gegen diese Pläne des Generalstabs.

Klein: Befugnisse für eine größere militärische Operation, seit Tagen und Wochen wird darüber spekuliert, ob so etwas kommt, was man Ende einen Krieg nennen muss. Denken Sie, dass die Türkei so weit gehen wird? Wie weit wird sie gehen?

Nouripour: Ich weiß es nicht. Ich hoffe, dass die Türkei klug genug ist, um auf die Provokation der PKK nicht falsch zu reagieren. Wir haben die Situation, dass diese Terrororganisation, nämlich die PKK, in einer großen Defensive ist. Seit über acht Jahren verlieren sie an Anhängerschaft in den Kurdenregionen. Bei den letzten Parlamentswahlen in der Türkei haben über die Hälfte der Menschen in den kurdischen Gebieten die AKP gewählt, und viele andere haben andere Ankara-Parteien gewählt, also nicht die originären kurdischen Parteien. Auch das bekommt die PKK zu spüren. Öcalan sitzt relativ isoliert im Gefängnis und hat immer weniger zu melden, man hört auch immer weniger von ihm. In der Situation versucht die PKK mit gezielten Provokationen die Türkei in einen Konflikt rein zu ziehen. Am Ende würde es so sein, dass die Türkei Teil ist des Irakkrieges. Das wäre alles andere als ratsam, das ist für jedes andere Land genauso und die Einzigen, die davon was hätten, wäre die PKK selber, weil sie noch mal an Relevanz gewinnen würden in den kurdischen Gebieten. Also das wäre Wahnsinn, wenn die Türkei wirklich mit einer größeren militärischen Operation in diese Irakfalle der PKK gehen würde.

Klein: Was würde die Türkei denn davon abhalten, jetzt stärker militärisch dort vorzugehen? Eher die ja bisher noch relativ verhaltenen Appelle aus Washington oder die Überlegung, es könnte zum Beispiel dann auch schwieriger werden mit EU-Beitrittsverhandlungen?

Nouripour: Es ist selbstverständlich so, dass die Amerikaner Verantwortung haben, und Gott sei Dank hat sich Frau Rice auch jetzt auch eingemischt und um ein Moratorium gebeten. Die irakische Seite hat jetzt weitgehende Zugeständnisse gemacht, die sie in den letzten Monaten nicht bereit waren zu machen, beispielsweise dass sie PKK-Kombattanten auch ausliefern würden an die Türkei. Das ist eine alte Forderung aus Ankara. Und diese Kooperation zu vertiefen, das ist jetzt eine einmalige Chance. Das kann sich die Türkei eigentlich nicht entgehen lassen. Außerdem könnte sie jetzt endlich nach all den Jahren direkte Gespräche führen mit Kurdenführern im Nordirak. Das sind Kooperationsfelder, die diesen sowieso jetzt zum Beispiel derzeit florierenden Handel zwischen Nordirak und Osttürkei auch noch mal untermauern würden. Die irakische Seite ist selbstverständlich nicht alleine, nicht imstande die PKK-Stellungen anzugehen und die PKK-Aktivitäten zu untermauern.

Klein: Herr Nouripour, noch mal nachgefragt: Der Druck auf die türkische Regierung kommt ja auch von einer anderen Richtung. Demonstranten fordern die Türkei auf, durchzugreifen bei der PKK. Wie ernst zu nehmen ist dieser Faktor?

Nouripour: Es ist sehr ernst zu nehmen, aber das ist ausschließlich innenpolitisch. Wir haben ja bei der letzten Wahl gesehen, dass die AKP-Regierung unter Generalverdacht steht, dass sie die Interessen seitens der alten Parteien in der Türkei, dass die AKP die Interessen der Türkei eigentlich nicht vertritt. Und der Tatsache sind diese Demonstrationen auch geschuldet. Trotzdem muss die AKP die Souveränität haben, genau diesen Demonstranten zu sagen: Liebe Leute, im nationalen Interesse der Türkei kann es nicht liegen, Teil des Irakkrieges zu werden.

Klein: Abschließend gefragt, das Verhalten der EU - welches wäre jetzt wünschenswert aus Ihrer Sicht?

Nouripour: Ich finde, dass der EU-Kommissar für Erweiterungen, Rehn, gestern sehr, sehr souverän reagiert hat. Er hat eindringlich appelliert an die Türkei. Der hat auch noch mal sehr genau beschrieben, was eine Eskalation bedeuten würde. Natürlich müssen wir, falls es dazu kommt, dass der Konflikt wirklich groß aufbricht, müssen wir natürlich auch schauen, ob wir an bestimmten Stellen zum Beispiel die Beitrittsverhandlungen zumindest einfrieren. Aber gleichzeitig hat Herr Rehn auch gesagt, wir werden in der nahen Zukunft - nach dem 7. November dort wird nämlich der nächste Fortschrittsbericht über die Türkei vorliegen - zwei weitere Kapitel der Erweiterung aufschlagen und die Verhandlungen ausweiten. Das ist richtig, man muss auch mit Anreizen arbeiten und nicht immer nur mit Drohungen.

 
 
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