Resettlement-Programm für irakische Flüchtlinge
Geschrieben von jnwwebmaster am November 08 2008 06:48:26

Kleine Anfrage zur mündlichen Beantwortung vom 09.10.2008

 

Abgeordnete Filiz Polat (GRÜNE)

 

Unterstützt Niedersachsen das Resettlement-Programm für irakische Flüchtlinge?

 

Immer noch sind innerhalb des Iraks 2,7 Millionen Menschen auf der Flucht. In den Nachbarstaaten, vor allem Syrien und Jordanien, leben inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlinge unter desolaten Bedingungen. Die Erstaufnahmestaaten sind überfordert; weder Syrien noch Jordanien haben die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet. Insbesondere 400.000 Angehörige der ethnischen oder religiösen Minderheiten haben keinerlei Perspektive in den Erstaufnahmestaaten, und eine Rückkehr erscheint auf lange Sicht ausgeschlossen.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen fordert seit längerem die europäischen Staaten auf, Resettlement-Programme einzurichten, auch um die desolate Lage der irakischen Flüchtlinge zu lindern. Dieses Programm richtet sich an besonders schutzbedürftige Personen (Härtefälle) wie allein erziehende Mütter, Folteropfer, Kranke, Minderjährige oder Alte.

Von den EU-Staaten haben bisher Schweden, Finnland, Dänemark, die Niederlande, Großbritannien und Irland entsprechende Programme eingerichtet, außerhalb der EU auch die USA, Norwegen, Kanada und Neuseeland.

Am 25. September 2008 sprach Bundesinnenminister Schäuble beim Treffen der EU-Justiz- und Innenminister in Brüssel davon, 5.000 Flüchtlinge aufzunehmen. Setzt man diese Zahl ins Verhältnis zu den 400.000 schutzbedürftigen Minderheitenangehörigen, ist dies eine Quote von gerade einmal 1,25 Prozent. Das katholische Hilfswerk Missio hatte bereits vor einem halben Jahr von Deutschland die Aufnahme von 30.000 Minderheitenangehörigen gefordert.

Am 21. Juli 2008 erklärte Innenminister Schünemann in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (HAZ) noch seine Skepsis, Flüchtlinge aus dem Irak und aus den an den Irak angrenzenden Ländern in einem solchen Resettlement-Programm aufzunehmen. Als Ablehnungsgrund nannte Schünemann hier die potentielle Terrorgefahr, die ausgerechnet von den vor dem Terror im Irak fliehenden Menschen ausgehen sollte. Hiermit distanzierte sich Schünemann von seiner im April getroffenen Aussage, 700 Plätze im Durchgangslager Friedland für geflohene christliche Flüchtlinge bereitzustellen. Nun hat der niedersächsische Innenminister in der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) vom 27. September 2008 davor gewarnt große Kontingente irakischer Flüchtlinge aufzunehmen und nur „absolute Härtefälle“ zu berücksichtigen.

Ich frage die Landesregierung:

 

1.         Wie groß schätzt die Landesregierung die Kapazitäten in Niedersachsen für die Aufnahme von irakischen Flüchtlingen – einmalig bzw. kontinuierlich?

 

2.         Ist es für die Landesregierung vorstellbar, dass Niedersachsen – zum Beispiel im Fall einer erklärten höheren Aufnahmebereitschaft der niedersächsischen Kommunen - eine höhere Zahl an Flüchtlingen aufnimmt als den Anteil, der per Königsteiner Schlüssel zugewiesen wird und wenn nein, warum nicht?

 

3.         Sieht die Landesregierung darüber hinaus die Notwendigkeit und die moralische Verpflichtung zur Einrichtung eines kontinuierlichen Resettlement-Programms für schutzbedürftige Flüchtlinge, wie es der UNHCR von Deutschland erhofft?

 

Filiz Polat

 

Antwort der Landesregierung

 

Nachdem Bundesinnenminister Dr. Schäuble im April 2008 angeregt hatte, verfolgte Christen aus dem Irak vorübergehend in Europa aufzunehmen, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können, hatten die Innenminister der Länder angeregt, sich um eine europäische Lösung zu bemühen. In seiner Sitzung im Juni diskutierte der Rat der Europäischen Union das Thema. Es wurde keine Entscheidung getroffen, sondern die französische Präsidentschaft übernahm es, zunächst Schlussfolgerungen des Rates für eine mögliche Aufnahme schutzbedürftiger Angehöriger irakischer religiöser Minderheiten durch die Mitgliedstaaten der EU auszuarbeiten. In den Schlussfolgerungen wird als Hauptziel gesehen, die Voraussetzungen für eine sichere Rückkehr der innerhalb des Iraks vertriebenen und der in die Nachbarländer geflüchteten Iraker zu schaffen. Außerdem wird die irakische Regierung aufgefordert, alles zu tun, um die Nachbarländer bei der Bewältigung der Flüchtlingslast zu unterstützen, wobei darauf hingewiesen wird, dass die EU seit 2006 für Flüchtlinge, Rückkehrer und Binnenvertriebene des Irak finanzielle Unterstützung in Höhe von rd. 86 Mio. EUR bereitgestellt hat. Der Rat der EU hat dann im September entschieden, eine EU-Delegation in die Region zu entsenden, um sich ein genaues Bild über die Situation der irakischen Flüchtlinge zu verschaffen und danach in enger Abstimmung mit dem UNHCR zu einer endgültigen Entscheidung über die am besten geeignete Form der Solidarität für alle Iraker zu kommen Bei seinem Besuch in Berlin am 22.07.2008 wandte sich der irakische Ministerpräsident Maliki gegen die Aufnahme von vertriebenen irakischen Staatsangehörigen durch die Mitgliedstaaten der EU und forderte alle Flüchtlinge auf, in den Irak zurückzukehren, da sie für den Wiederaufbau des Landes gebraucht würden.

Oberstes Ziel muss es sein, möglichst bald und für möglichst viele vertriebene Iraker im Irak Bedingungen zu schaffen, die ihnen eine Rückkehr ermöglichen. Wenn sich darüber hinaus noch die Notwendigkeit für die Aufnahme besonders schutzbedürftiger Personen in Europa ergeben sollte, wird sich die Landesregierung an einer entsprechenden Hilfsaktion selbstverständlich genauso wie alle anderen Länder beteiligen. Es gibt allerdings noch Klärungsbedarf, hinsichtlich der Abwicklung einer derartigen Aufnahmeaktion, insbes. ob eine zentrale Aufnahme erfolgen und wer diese koordinieren soll, welche Integrationsleistungen angeboten werden können und wer die Kosten für die Aufnahme und Versorgung zu tragen hat. Allerdings würde es sich unter diesen Voraussetzungen nur um eine wesentlich geringere Zahl von Flüchtlingen handeln, als sie derzeit öffentlich diskutiert wird.

 

Dies vorausgeschickt, beantworte ich die Anfrage namens der Landesregierung wie folgt:

 

Zu 1.:

In Niedersachen stehen grundsätzlich für die Aufnahme von Flüchtlingen das Grenzdurchgangslager Friedland und die Zentralen Aufnahme- und Ausländerbehörden in Braunschweig und Oldenburg sowie die Außenstelle Bramsche zur Verfügung. Die Aufnahme der auf Niedersachsen entfallenden Anzahl irakischer Flüchtlinge wäre nach relativ kurzer Vorbereitung in diesen Einrichtungen möglich. Denkbar wäre auch die Aufnahme aller von Deutschland aufzunehmenden Flüchtlinge im Grenzdurchgangslager Friedland, wenn es sich bei einer kontinuierlichen Aufnahme um eine Zahl von weniger als 500 Personen pro Quartal handeln würde. Diesen Flüchtlingen könnten dann im Rahmen einer Erstaufnahme für einen Zeitraum von drei Monaten bis zur Weiterverteilung in die Länder bzw. Gemeinden auch gleichzeitig Integrationskurse angeboten werden.

 

Zu 2.:

Da mir keine Überlegungen bekannt sind und auch keine Anfragen vorliegen, dass eine Stadt oder Gemeinde aus Niedersachsen im Falle einer Aufnahmeaktion von Flüchtlingen aus dem Irak bereit wäre, eine bestimmte Zahl von Flüchtlingen unabhängig von der Aufnahmequote des Landes aufzunehmen und den dadurch entstehenden Aufwand selbst zu tragen, stellt sich die Frage derzeit nicht.

 

Zu 3.:

Deutschland hat in den letzten beiden Jahrzehnten mit Abstand den größten Teil der in die Mitgliedstaaten der EU gekommenen Flüchtlinge aufgenommen, so dass im Staatenvergleich kein Nachholbedarf für eine zusätzliche Aufnahme von Flüchtlingen besteht. Dies ist auch vom UNHCR stets gewürdigt worden. Die Hauptlast bei der Aufnahme von Flüchtlingen nach Deutschland tragen die Länder. Ob künftig vom UNHCR in Drittstaaten betreute Flüchtlinge nach Deutschland umgesiedelt werden können und in welcher Zahl das ermöglicht werden könnte, muss kurzfristig von der Weichenstellung der EU zu einer möglichen Aufnahme von irakischen Flüchtlingen und mittelfristig von der Weiterentwicklung der Asylstrategie der EU abhängig gemacht werden, die sich sowohl auf die Aufnahme von Flüchtlingen als auch auf Wiederansiedlungsprogramme und Rückführungen bezieht.

 

Kommentar aus grüner Sicht zur Antwort der Landesregierung auf die Anfrage:

 

Innenminister Schünemann verschweigt zunächst einmal seinen Wackelkurs in der Frage des Resettlement-Programms. Vor der Landtagswahl hatte Schünemann presseöffentlich noch die Initiative von Bundesinnenminister Schäuble begrüßt, christliche Flüchtlinge aufzunehmen. Kurze Zeit später warnte er vor der Gefahr potentielle Terroristen durch dieses Programm nach Deutschland zu holen.

Bei der Frage nach der europäischen Lösung muss man ganz klar betonen, dass insbesondere Deutschland eine schnelle Antwort bewusst hinausgezögert hat.

Die Probleme bei der „Abwicklung, einer derartigen Aufnahmeaktion, (…) ob eine zentrale Aufnahme erfolgen und wer diese Koordinieren soll, welche Integrationsleistungen angeboten werden können und wer die Kosten zu tragen hat“ sind aus unserer Sicht hausgemacht. Wenn man gewollt hätte, hätte man diese Fragen schon lange beantworten können.

Aus Sicht der Landesregierung ist natürlich oberstes Ziel zunächst die Rückkehr in den Irak und die Schaffung der dafür erforderlichen Voraussetzungen. Eine Ansiedlung in Niedersachsen komme nur in Betracht, wenn darüber hinaus noch Bedarf bestehe. Niedersachsen werde sich nicht in größerem Umfang als andere Bundesländer an der Aufnahme beteiligen, falls diese überhaupt erforderlich sein sollte. Auf jeden Fall sollen wesentlich weniger Personen in Niedersachsen aufgenommen werden als bisher öffentlich diskutiert wurde. Die Aufnahme soll in den ZAABen und in Friedland erfolgen. In Friedland könnten sogar alle auf Deutschland entfallenden irakischen Flüchtlinge aufgenommen werden. So kann Minister Schünemann wieder wunderbar seine Kapazitäten in den Lagern rechtfertigen und das überdimensionierte Friedland auffüllen.

Die "Save me"-Kampagne von Pro Asyl und anderen Flüchtlingsorganisationen scheint der Landesregierung nicht bekannt zu sein oder wird von Ihr verdrängt, weil es für sie wahrscheinlich nicht vorstellbar ist, dass eine Kommune mehr für Flüchtlinge tut als sie unbedingt muss. Sogar in Niedersachsen scheint es eine Kommune - nämlich Göttingen - zu geben, die ausweislich der Kampagnen-Seite http://www.save-me-kampagne.de/index.html eine entsprechende Initiative ergreifen will.

Wir werden uns dafür einsetzen, dass noch mehr Kommunen in Niedersachsen sich dieser Initiative anschließen.