Nützliche Nachrichten
Geschrieben von jnwwebmaster am May 18 2008 10:04:56
Aachener Friedenspreis für Mentor der deutschen Friedensbewegung
Andreas Buro



Der Aachener Friedenspreis würdigt in diesem Jahr den
Einsatz für ein friedliches Zusammenleben in Nahost und
die Entwicklung der zivilen Konfliktbearbeitung. Die
Auszeichnung geht an den Mentor der
Friedensbewegung Andreas Buro, den Bethlehemer
evangelischen Pfarrer Mitri Raheb sowie die israelische
Fraueninitiative MachsomWatch, wie der Aachener
Friedenspreis am 8. Mai 2008 mitteilte.

"Prof. Dr. Andreas Buro, der am 15. August 2008 seinen
80. Geburtstag feiert, gilt als eine der herausragenden
Persönlichkeiten der deutschen Friedensbewegung.
Seine Biographie liest sich wie die Geschichte der
Friedensbewegung nach 1945. Er war bei allen wichtigen
Etappen dabei, manche - wie den Ostermarsch - hat er
mitinitiiert.

Sein wichtigster Beitrag zur deutschen
Friedensbewegung ist mittlerweile die Entwicklung der
Zivilen Konfliktbearbeitung als Alternative der
Friedensbewegung zu Militäreinsätzen. Mit diesem
Ansatz kann die Friedensbewegung über die Forderung
nach Truppenrückzug hinaus konstruktive Positionen für
Konfliktlösungen erarbeiten.

Beispiele für konkrete Vorschläge zur zivilen
Konfliktbearbeitung hat Prof. Dr. Andreas Buro
gemeinsam mit weiteren Autoren in seinen "Monitoring-
Dossiers" für die Kooperation für den Frieden erarbeitet.
Bisher liegen sie vor für Iran, Türkei/Kurdistan,
Israel/Palästina, geplant ist ein Dossier für Afghanistan.
Die Verleihung des Aachener Friedenspreises an Prof.
Dr. Andreas Buro würdigt daher nicht nur eine überaus
verdiente Persönlichkeit der deutschen
Friedensbewegung, sondern leistet darüber hinaus vor
allem einen Beitrag, die Alternativen der Zivilen
Konfliktbearbeitung im öffentlichen Bewusstsein zu
verankern.

Der Aachener Friedenspreis ist mit je 1.000 Euro dotiert
und wird am 1. September verliehen. Zur Preisverleihung
sind - wie in jedem Jahr - alle Bürgerinnen und Bürger
herzlich eingeladen."

Die Redaktion der Nützlichen Nachrichten und die
aktiven Mitwirkenden des Dialog-Kreises freuen uns
riesig zu diesem besonderen Ereignis und gratulieren
Andreas Buro.
http://www.aachener-friedenspreis.de





Der Kommentar

Einen Schritt vor
und vier Schritte zurück


Von Andreas Buro

Es ist wirklich eine gute Nachricht, dass sich Kurden und Türken,
die in EU-Ländern leben, zu einem "Europäischen Friedensrat
Türkei" zusammengeschlossen haben, um gemeinsam für eine
friedliche Lösung des in weltpolitischer Hinsicht
anachronistischen Konflikts der Türkei mit ihren kurdisch-
stämmigen Bürgern einzutreten. Dieser Friedensrat will eng mit
dem Friedensrat in der Türkei zusammenarbeiten und mit allen
Kräften, die sich für eine friedliche Lösung einsetzen. Trotzdem
ist er nicht an eine Partei gebunden, sondern soll unabhängig
agieren. Leider haben sich die größeren türkischen Vereine
bisher nicht angeschlossen, obwohl es in ihrem eigenen
Interesse liegt, endlich diesen Konflikt beizulegen, um dann
gemeinsam die in der EU vorliegenden Probleme zu bearbeiten.
Türken wie Kurden, die in der EU leben, haben doch ein
gemeinsames Interesse an einem Beitritt der Türkei zur EU.
Ohne die friedliche Lösung der Kurdenfrage wird jedoch ein
Beitritt nicht möglich sein.

Statt Aussöhnung und Toleranz geht der Kurs in der Türkei
gegenwärtig in die andere Richtung. Einer Delegation von Nicht-
Regierungsorganisationen aus Diyarbakir erklärt
Ministerpräsident Erdogan, Kurdisch würde niemals weder in den
Schulen gelehrt, noch im öffentlichen Leben in den kurdischen
Siedlungsgebieten geduldet werden. Offensichtlich keine
Bereitschaft zu der dringlich notwendigen Politik einer
Aussöhnung! Leyla Zana hat man, wie zur Bestätigung der Politik
der Zwangsassimilierung zu erneuter Haft verurteilt, weil sie
Öcalan neben Barzani und Talabani als eine wichtige
Persönlichkeit für die Kurden bezeichnet hat.

Der zweite Schritt zurück ist die de facto Nicht-Reform des § 301.
Wie soll die Türkei jemals EU-Mitglied werden, wenn Kritik, das
Lebenselement von Demokratie, ständig mit Gefängnis bedroht
ist. Es gibt hier nur eine Lösung, nämlich diesen Paragraphen ein
für alle mal zu streichen. Kosmetik nützt da nicht.

Zum Dritten: Der Premierminister tritt in Deutschland zu Recht für
die freie Religionsausübrung seiner hiesigen Glaubensbrüder
und -schwestern ein. In der Türkei aber wird den Aleviten die
Bitte abgeschlagen, ihren Versammlungsräumen einen offiziellen
Status als Plätzen religiöser Anbetung zu verleihen. Die
Intoleranz gegenüber christlichen Kirchen ist bekannt. Hier wird
sogar einer Abspaltung vom sunnitischen Islam die rote Karte
gezeigt. Ankara aber verhandelt über den Beitritt zur EU, einer
multireligiösen, multiethnischen und multikulturellen Vereinigung!
Und schließlich, die gesamte türkische Politik ist vom Konflikt
zwischen AKP-Regierung und den kemalistischen Eliten,
angeführt von der Generalität, auf das Schwerste belastet, der
auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird: Beim
Newroz-Fest werden die Kurden und am 1. Mai die Arbeiter
zusammen geknüppelt. Die Generalität bombardiert im Nord-Irak
und schüren Kurdenfeindlichkeit. Der Justizapparat bemüht sich
die mit überwiegender Mehrheit gewählte AKP und ihre
Repräsentanten zu verbieten.

Offensichtlich wird in der Türkei gegenwärtig ein gefahrliches
Stück aufgeführt, eine Tragödie.




Deutsche Friedensorganisationen unterstützen
Europäischen Friedensrat Türkei


Am 26. April 2008 wird in Düsseldorf von Kurden und Türken in
der EU ein ,Europäischer Friedensrat Türkei' gegründet.

Auf die Initiative vom Dialog-Kreis hin begrüßten deutsche
Friedensorganisationen, die sich bisher für Frieden in der Türkei
eingesetzt haben, mit der folgenden Adresse die Gründung, da
hierdurch eine eigenständige Vertretung dieser Bürger und
Bürgerinnen im Bemühen um eine friedliche Lösung des
türkisch-kurdischen Konflikts entsteht.

"Wir die unterzeichneten deutschen
Friedensorganisationen begrüßen die Gründung eines
Europäischen Friedensrats Türkei und wünschen ihm viel
Erfolg für seine Tätigkeit.

Unsere Arbeit für eine friedliche Lösung des türkisch-
kurdischen Konflikts beruht auf dem Grundsatz, dass nur
politische friedliche Anstrengungen und Dialoge zu einer
Lösung des Konflikts führen können. Wir wenden uns
deshalb gegen alle Versuche, einer militärischen Lösung
und fordern beide Seiten auf, die Waffen nieder zu legen.
Die Invasion wie auch die Invasionsdrohung müssen
sofort beendet werden.

Angesichts der jüngsten Eskalation der Kriegshandlungen
haben wir unseren Standpunkt gerade noch einmal in den
folgenden Punkten verdeutlicht:

* An die Stelle der Politik der Konfrontation muss
endlich eine Politik der Aussöhnung treten. Ankara hat
dies in der Hand. Zwangsassimilierung ist ein
Verbrechen, wie der türkische Ministerpräsident zu
Recht feststellte. Dies gilt auch für die Behandlung der
Kurden in der Türkei.

* Beide Konfliktparteien müssen die Gefahren einer
Eskalation der gewaltsamen Auseinandersetzungen
innerhalb der Türkei zur Kenntnis nehmen. Sie kann
zu einer zunehmenden Verfeindung zwischen Türken
und Kurden führen. "Die Waffen nieder" gilt für beide
Seiten! Eine Ausweitung der Gewalttakte in die
türkischen Städte bedeutet ebenso eine Katastrophe,
wie eine nationalistische Aufhetzung der Bevölkerung
gegen ihre kurdischen Landsleute.

* Für die Türkei, die Mitglied der EU werden will, ist es
unabdingbar, die dominante Rolle des Militärs zurück
zu drängen: Denn statt Militärpolitik muss
Friedenspolitik auf die Tagesordnung. Sie ist vom
Militär nicht zu erwarten.

Wichtige Schritte zur Deeskalation

- Die kulturelle Identität und Gleichstellung der Kurden
muss endlich anerkannt und in der Verfassung
festgeschrieben werden.

- Die Verurteilung der kurdischen Seite als terroristisch
muss aufgehoben werden, da durch sie Friedens- und
Aussöhnungspolitik national und international
unmöglich gemacht wird.

- Der neu gebildete Friedensrat der Türkei ist in seinen
Bemühungen um eine Lösung des Konflikts und um
eine Kultur des Friedens zu unterstützen.

- Die Existenz der kurdischen DTP-Partei, die in die
große Nationalversammlung in Ankara gewählt wurde,
darf nicht in Frage gestellt werden. Sie ist ein wichtiger
potentieller Dialog-Partner für die Lösung des
Konflikts.

- Bei der türkischen Invasion werden wieder deutsche
Waffen vertragswidrig eingesetzt. Die EU und die EU-
Staaten müssen endlich begreifen, dass es in ihrem
ureigensten Interesse liegt, den Konflikt friedlich
beizulegen. Es gilt, eine gefährliche Ausweitung der
Kämpfe zu verhindern, welche die ganze Region
erschüttern könnten. Sie können sich auch in
Deutschland und der EU auswirken. Die EU und ihre
Staaten müssen friedenspolitisch tätig werden, damit
die Kurdenfrage nicht zur "Palästinenserfrage" des 21.
Jahrhunderts wird.

Wir halten es für sehr wichtig, dass türkische und
kurdische Bürger und Bürgerinnen in der EU ihren
eigenständigen Einfluss für eine friedliche, zivile
Bearbeitung des Konflikts in der Türkei geltend machen
und auch in unseren Gesellschaften ihren Friedenswillen
zum Ausdruck bringen. Möge es gelingen, die hier
lebenden Bürger und Bürgerinnen, die aus der Türkei
hierher gekommen sind, für eine Politik der Aussöhnung
zu gewinnen und sowohl die deutsche Politik wie auch die
der EU zu einem verstärkten Engagement zugunsten einer
friedlichen Lösung zu bewegen.

Wir hoffen auf eine gute gegenseitige Information und
Zusammenarbeit. Dem neuen Friedensrat wünschen wir
einen guten Beginn und den notwendigen langem Atem für
seine sicher schwierige Aufgabe."

Unterzeichner: Dialog-Kreis: "Die Zeit ist reif für eine politische
Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden"; Aachener
Friedenspreis; medico international; DFG-VK-Bundesverband,
Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen; DFG-VK- Landesverband Baden
Württemberg; Friedensnetzwerk Ulm; Frauen in Schwarz;
Helsinki Citizens Assembly - Deutsche Sektion; Dr. Jürgen
Micksch, Vorsitzender des Interkulturellen Rates in Deutschland;
Komitee für Grundrechte und Demokratie; Koordination
"Gerechtigkeit, Frieden und Ehrfurcht vor der Schöpfung" der
Franziskaner; Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für
soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie;
Mönchengladbacher Friedensforum; AG Kurdistan/Türkei im
Netzwerk Friedenskooperative; Pax Christi Limburg und
Kooperation für den Frieden (Der Kooperation gehören 44
Friedensorganisationen an)
(Dialog-Kreis, PM, 22.4.08)




Ereignis-Kalender


PKK zu Unrecht auf der Terrorliste

Das Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat am 3. April 2008
entschieden, dass die Arbeiterpartei Kurdistans PKK und der aus
ihr hervorgegangene Volkskongress Kurdistan Kongra-Gel von
der Terrorliste der EU gestrichen werden müssen. Die
Europäische Union habe die Aufnahme der Organisationen in die
Liste in den Jahren 2002 und 2004 nicht ausreichend begründet,
rechtfertigte das Gericht seine Entscheidung mit
Verfahrensfehlern.

Praktische Folgen wird das Urteil nicht haben. Denn schon längst
hat das hinter verschlossenen Türen tagende Gremium des EU-
Rats eine von dem Urteil nicht berührte Neufassung der Liste
beschlossen, die weiterhin die PKK und Kongra-Gel enthält. So
ist das aktuelle Urteil lediglich eine weitere Ohrfeige für die
»schwarzen Listen« und ein erneuter Beweis für
Rechtsverletzungen im so genannten Anti-Terror-Kampf.
Auch der Sonderermittler des Europarats, Dick Marty, hatte
vergangenen November harte Kritik an den willkürlichen
Terrorlisten geübt und mehr Rechtsschutz für die Betroffenen
eingefordert. Denn schon ein vager Verdacht reiche aus, um als
unbescholtener Bürger auf die Terrorlisten zu kommen -mit
gravierenden Folgen wie der Sperrung der Konten und der
Unterbindung aller Geschäftsbeziehungen der Betroffenen.

Die Listen mit rund 50 als »terroristisch« eingestuften
Organisationen und eben so vielen Einzelpersonen waren nach
den Anschlägen vom 11. September 2001 vom Rat der
Europäischen Union eingeführt worden. Allein außenpolitische
Interessen der EU-Staaten entscheiden darüber, ob eine
Gruppierung als terroristische oder Befreiungsbewegung
eingestuft wird. (...)

Zusätzlich zu den Terrorlisten besteht in Deutschland seit 1993
das PKK-Verbot. In den letzten Wochen wurden deswegen
wieder mehrere Kurden verhaftet und Kulturvereine durchsucht.
Regelmäßig kommt es zu Polizeiübergriffen auf friedliche
Demonstrationen, nur weil dort Bilder des in der Türkei
inhaftierten kurdischen Politikers Abdullah Öcalan gezeigt
werden. Organisationen, die wie der Kongra-Gel für eine
politische Lösung der kurdischen Frage im Rahmen einer
demokratischen Föderation eintreten, werden verfolgt und
kriminalisiert. (.)

Ein Ende des PKK-Verbots in Deutschland ist notwendig, um hier
lebenden kurdischstämmigen Bürgerinnen und Bürgern eine
demokratische politische Betätigung zu ermöglichen. Dies wäre
ein Beitrag zu einer friedlichen Lösung der kurdischen Frage
auch in der Türkei.
(Ulla Jelpke in Neues Deutschland, 11.4.08; Azadî e.V., FR und
Der Standard, 3.4.08; AFP, 4.4.08)



Premier Erdogan: "Kurdisch weder in
der Schule noch im öffentlichen Leben"


Vertreter von insgesamt 15 Nichtregierungsorganisationen aus
Diyarbakir sind am 8. April 2008 für zwei Tage in die Hauptstadt
Ankara gekommen, um der türkischen Staatsführung eine
Denkschrift zur friedlichen Lösung der Kurdenfrage zu
überreichen. An der Delegation waren vor allem die politisch
gemäßigten Interessenverbände von Diyarbakir beteiligt, auch
die vorbereite Denkschrift enthielt nichts Brisantes - dennoch
kam es beim Zusammentreffen mit Ministerpräsident Erdogan
zum Eklat. Bei dem Empfang hatte Erdogan seinen Standpunkt
erneuert, er wolle den Kurdenkonflikt durch ein »umfassendes
Wirtschaftspaket« lösen, das seine Regierung gegenwärtig
vorbereite.

Zu dem Zwischenfall kam es, als der Vertreter der
Rechtsanwaltskammer von Diyarbakir, Sezgin Tanrikulu,
anmerkte, dass eine Lösung, die sich nur auf wirtschaftliche
Ansätze beschränke, kaum Aussicht auf Erfolg haben könne.
Vielmehr müssten auch soziokulturelle Aspekte, wie etwa die seit
langem geforderte Freigabe der kurdischen Sprache in
Erziehung und Verwaltung, eingeschlossen werden. Der
bekannte türkische Ministerpräsident soll den verblüfften
Delegationsteilnehmer daraufhin wütend als »unaufrichtigen
Lügner« beschimpft haben. Das Treffen fand ein vorzeitiges
Ende.

In den vergangenen Wochen hat Erdogan wiederholt deutlich
gemacht, dass nach Auffassung der Regierung allein die
wirtschaftliche Rückständigkeit der Südosttürkei für das
Kurdenproblem verantwortlich sei. Eine umfassende politische
Lösung des Konfliktes, mit der die Regierungspartei AKP noch
im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Juli 2007 erfolgreich auf
Stimmenfang gegangen war, wird inzwischen kategorisch
ausgeschlossen. So verkündete Erdogan kürzlich, daß eine
Anerkennung des Kurdischen als zweite Amtssprache in den
mehrheitlich von Kurden bewohnten Provinzen selbst langfristig
»völlig undenkbar« sei. Auch stehe die vielfach geforderte
Anerkennung der politischen und kulturellen Rechte
nichttürkischer Bevölkerungsteile in der Verfassung nicht länger
zur Debatte.

Das Fazit der Delegation aus Diyarbakir fiel nach Abschluss der
Gespräche entsprechend enttäuscht aus. »Wir haben versucht,
auf die Dringlichkeit des Kurdenproblems aufmerksam zu
machen und klarzustellen, dass eine nur auf wirtschaftliche
Fragen beschränkte Lösung ohne Erfolg bleiben muss«, so
Sezgin Tanrikulu. »Aber es gibt in Ankara erheblichen
Widerstand gegen eine friedliche Lösung«.
(junge Welt, 11.4.08)



Leyla Zana verurteilt


Leyla Zana, die bekannte kurdische Politikerin, wurde am 10.
April 2008 von einem türkischen Gericht in Diyarbakir zu 2
Jahren Gefängnis verurteilt. Das ihr vorgeworfene Vergehen ist
es, im vergangenen Jahr in einer Rede Abdullah Öcalan, neben
dem irakischen Staatspräsidenten Celal Talabani und dem
Präsidenten Kurdistan Mesut Barzani, als eine der drei
Führungspersönlichkeiten des kurdischen Volkes bezeichnet und
somit Propaganda für eine verbotene Organisation gemacht zu
haben.

Bereits 1994 wurde die ehemalige Abgeordnete der DEP des
türkischen Parlaments und Trägerin des Sacharow
Friedenspreises des Europaparlamentes zu einer
fünfzehnjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie bei der
Vereidigung als Abgeordnete in kurdischer Sprache geäußert
hatte, sie werde für die Brüderlichkeit zwischen dem türkischen
und kurdischen Volk arbeiten.

Die Lösung der Kurdenfrage ist unabdingbar für die
Demokratisierung der Türkei. Solange die Türkei das kurdische
Volk und seine elementaren Grundrechte nicht anerkennt, wird
sie auch keine ernst zu nehmenden Schritte in Richtung
Demokratie und Fortschritt vollziehen können.
(Cenî- Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V.,
www.ceni-kurdistan.de; YÖP und junge Welt, 11.04.2008)



Haft für Eren Keskin


Der Umgang der türkischen Justiz mit der Menschenrechtlerin
Eren Keskin und die Bemühungen der Regierung um eine
Reform des "Türkentum"-Gesetzes zeigen, dass die EU-
Reformen der vergangenen Jahre an Teilen des Staatsapparates
spurlos vorüber gegangen sind. Viele Staatsanwälte und Richter
in der Türkei sehen ihre Aufgabe in politischen Verfahren nach
wie vor darin, den Staat vor den Bürgern zu schützen.

Dahinter steckt die Leitidee einer Entwicklungsdiktatur - die
Überzeugung, dass den Menschen in wichtigen Dingen wie der
Meinungsfreiheit nicht zu trauen ist. Keskin wurde wegen ein und
derselben Rede in zwei Prozessen vor zwei Kammern ein und
desselben Gerichts angeklagt. In einem Verfahren entschied der
Richter auf Freispruch, sein Kollege im anderen Verfahren
verurteilte die Menschenrechtlerin zu zehn Monaten Haft. Keskin
hatte in einer Rede in Köln schwere Vorwürfe gegen die Armee
erhoben. Meinungsfreiheit, sagte der eine Richter, Beleidigung,
sagte der andere.

Dass verschiedene Richter zu unterschiedlichen Urteil kommen,
ist nicht ungewöhnlich. Doch der Fall Keskin zeigt in aller Schärfe
das Problem der Türkei mit der Meinungsfreiheit auf: Nur eine
Kammer entschied nach dem Prinzip "im Zweifel für den
Angeklagten". Die andere Kammer urteilte im Zweifel lieber für
den Staat.

Diese Mentalität lässt sich mit der Nachbesserung von Gesetzen
nur notdürftig im Zaum halten. Gebraucht wird neben einer
besseren Ausbildung von Richtern und Staatsanwälten vor allem
ein anderes Gesellschaftsklima. Denn noch gibt es in der Türkei
keinen Konsens darüber, dass Kritik und Streit zum normalen
demokratischen Prozess gehören.
(Weser Kurier, 16.4.08)




EU-Präsident und Erweiterungskommissar zur
Unterstützung der AKP in der Türkei


"Wir sind besorgt. Eine Partei verbieten zu wollen, die erst vor
acht Monaten einen großen Wahlsieg errungen hat, ist nicht
normal. Wir sind für Säkularismus, aber für einen
demokratischen Säkularismus." Mit diesen Statements am 10.
April 2008 hat EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso
für heftige Auseinandersetzungen gesorgt.

Wegen unangemessener Einmischung und dem angeblichen
Versuch, die türkische Justiz unter Druck zu setzen, versuchten
die beiden großen Oppositionsparteien, CHP und MHP, Barrosos
Rede vor dem Parlament zu verhindern.

Zunächst hatte Erweiterungskommissar Olli Rehn gesagt, dass
solche Fragen, wie sie nun das Verfassungsgericht bearbeitet -
ob nämlich die AKP die Islamisierung des Landes betreibe -, in
Europa an der Wahlurne und nicht im Gerichtssaal entschieden
werden. Dann legte der EU-Außenbeauftragte Javiar Solana
nach: Ein AKP-Verbot. sagte er, hätte unweigerlich
Konsequenzen für den Beitrittsprozess der Türkei.

Barroso vermied es über die Konsequenzen eines möglichen
Verbots der AKP zu spekulieren. Stattdessen forderte er die
Türkei dazu auf, zur Reformpolitik der Zeit zwischen 2002 und
2005 zurückzukehren.

Mit dem gemeinsamen Besuch von Barroso und Rehn hat aber
immerhin die EU nach fast zweijähriger Pause wieder
signalisiert, dass sie die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei
noch nicht ganz abgeschrieben hat. Bis Juli, so Barroso, sollen
zwei weitere Verhandlungskapitel eröffnet werden.
(AFP, 9.4.008; junge Welt, 11.4.08; NZZ, taz 12.4.08)




"Mein Sohn wurde heimlich begraben"


Dass die türkische Armee bei ihrer Invasion in Irakisch-Kurdistan
im Februar 2008 viel höhere Verluste hatte als angegeben, ist
seit langem bekannt. Im April erklärte eine Soldatenmutter
gegenüber der Zeitung Özgür Politika, ihr bei der Operation ums
Leben gekommene Sohn sei auf Befehl des Militärs und des
"Vereins der Märtyrerfamilien" heimlich begraben worden. Als
Begründung sei ihr gesagt worden, man wolle der "PKK keine
Freude machen". Vom Tod ihres Sohnes habe sie erst fünf Tage
später erfahren.

Zur Beerdigung ihres Sohnes erklärte G.C.: "Wir haben ihn
nachts begraben. Eine Trauerfeier fand nicht statt. Sie sagten
uns: ,Machen wir den PKKlern keine Freude'. Eine Person vom
,Verein der Märtyrerfamilien' kam und meinte, er solle ,für den
Staat' in der Dunkelheit begraben werden. ,Ihr Sohn hätte das so
gewollt', sagte er. Personen mit Rangabzeichen sagten
außerdem, es könne bei einer Trauerfeier zu
Auseinandersetzungen kommen und wir sollten dem türkischen
Militär vertrauen. Mein Sohn hat nicht für die Befreiung von Izmir
oder Antep gekämpft. Wie soll ich sagen, es war fürs Vaterland?
Wie soll ich einen weiteren Sohn zum Militär schicken? Von wem
soll ich wofür Rache fordern? Weil ich leide, soll ich deshalb
fordern, dass auch andere leiden? Wenn darüber offen
gesprochen wird, vielleicht hört es dann auf, dass Mütterherzen
brechen, junge Menschen sterben und heimlich begraben
werden. Ich habe keine Angst, aber ich habe Enkel und Töchter.
Was wird mit ihnen geschehen, wenn ich offen im Fernsehen
oder in einer Zeitung spreche? Werden nicht die, die meinen
Sohn heimlich begraben haben, auch meinen Enkel heimlich
etwas antun? Wer auf Krieg setzt, ist kein Moslem, kein Mensch.
Recep Tayyip Erdogan schickt unsere Kinder in die Berge. Soll
er erst seine eigenen schicken und dann den Mund aufmachen.
Nur türkische, kurdische Mütter können diesen Krieg stoppen.

Wer ein Gewissen hat, hört auf die Mütter."
(ANF, 15.4.2008, ISKU)




53 Kurdische Bürgermeister wegen ROJ-TV verurteilt

53 kurdische Bürgermeister sind wegen eines Briefs an den
dänischen Ministerpräsidenten Rasmussen zu zweieinhalb
Monaten Haft verurteilt worden. Wegen guter Führung während
des Prozesses seien die Gefängnisstrafen jedoch anschließend
in Geldstrafen von jeweils rund 900 Euro umgewandelt worden,
teilte das Gericht in Diyarbakir am 15. April 2008 mit. In dem
Schreiben aus dem Jahr 2005 hatten sie Rasmussen dazu
aufgerufen, Ankaras Bitte nach Schließung des kurdischen
Fernsehsenders Roj TV nicht nachzukommen. Die türkischen
Behörden betrachten den Sender mit Sitz in Dänemark als
Sprachrohr der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK). Die dänische
Kontrollbehörde konnte bei Roj TV keine Aufstachelung zum
Hass beobachten. Die Anklage hatte Haftstrafen von bis zu 15
Jahren gefordert.
(AFP, YÖP und junge Welt, 16.4.08; taz, 17.4.08)




OBM von Diyarbakir:
Ich bin Zeuge, Angeklagter und Opfer
der stattgefundenen Tragödie

Innerhalb von einer Woche haben drei Prozesse gegen den
Oberbürgermeister von Diyarbakir Osman Baydemir
stattgefunden. Gemeinsam mit den anderen DTP-
Bürgermeistern wurde er am 15. April 2008 im "Roj-TV-Prozess"
zu einer Geldstrafe verurteilt. Am 17. April fand eine Verhandlung
gegen Baydemir im Zusammenhang mit den blutigen
Auseinandersetzungen in Diyarbakir vor zwei Jahren statt. Vor
Gericht sagte der Oberbürgermeister aus: "Ich bin gekommen,
um die Mentalität anzuklagen, mit der unsere drei-, fünf- und
zwölfjährigen Kinder, unsere 70-jährigen Großväter erschossen
worden sind. Ich bin Zeuge, Angeklagter und Opfer der
stattgefundenen Tragödie, aber ich bin nicht der Täter. Auch ich
führe einen Prozess. Dabei geht es um Identität, Sprache, Kultur,
Rechte und Freiheiten, um einen würdevollen Frieden."

Angeklagt war Baydemir, weil er in dem Bemühen, die
aufgebrachten Menschenmassen zu beruhigen und weitere
Gewalt zu verhindern, im Verweis auf den Tod von 14
Guerillakämpfern, der die Vorfälle ausgelöst hatte, in einer
Ansprache gesagt hatte: "Unser Schmerz war 14-fach, jetzt ist er
17-fach, die Zahl soll nicht noch auf 18 steigen". Wegen dieser
Äußerung wurde er zu einem Monat und 20 Tagen Haftstrafe
verurteilt.

Ein weiterer Prozess fand am 11. April wegen einer kurdisch-
türkischsprachigen Broschüre zu einer Säuberungskampagne
der Stadtverwaltung statt. Gemeinsam mit Baydemir ist die
Bezirksbürgermeisterin von Baglar, Yurdusev Özsökmenler,
angeklagt. Die Verhandlung wurde vertagt.
(Yeni Özgür Politika und ANF, 18.4.08, ISKU)




Europäischer Friedensrat Türkei gegründet


Am 26. April 2008 haben in Düsseldorf rund 250 Delegierte aus
verschiedenen europäischen Ländern den Europäischen
Friedensrat Türkei gegründet. An dem Gründungskongress, das
unter dem Motto "Schweigen tötet! Frieden jetzt!" stattfand,
nahmen kurdisch-türkische MigrantInnen aus Belgien,
Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Niederlande,
Österreich, Schweden und der Schweiz teil.

In einer ersten Erklärung wurde betont, dass man sich für die
friedliche und demokratische Lösung der Kurdenfrage, für die
Demokratisierung der Türkei einsetzen und gemeinsam mit der
europäischen Friedensbewegung gegen den neoliberalen und
militaristischen Umbau Europas vorgehen wolle. Kurz vor dem
Gründungskongress hatten über 50 deutsche
Friedensorganisationen mit einer Erklärung die Gründung des
Europäischen Friedensrats Türkei begrüßt und sich solidarisch
erklärt. An der Podiumsdiskussion "Beitrag der
Friedensbewegung für die friedliche Lösung der Kurdenfrage
nahmen Prof. Dr. Andreas Buro, Prof. Dr. Norman Paech (MdB)
und Dr. Peter Strutynski teil. Die Moderation wurde von Edgar
Auth (FR) übernommen.

Der Gründungskongress wählte einen Koordinierungskreis, der
aus 49 Personen besteht. Das geschäftsführende Sekretariat
übernehmen Günay Aslan, Murat Cakir, Koray Düzgören, Songül
Karabulut, Dr. Isik Iscanli, Turgut Öker, Yücel Özdemir, Dogan
Özgüden, Mustafa Peköz, Mehmet Sahin und Pinar Tuzcu. In
den nächsten Monaten sollen lokale, regionale und landesweite
Sektionen des Europäischen Friedensrats Türkei in allen
europäischen Ländern gegründet werden. Das Sekretariat rief
die kurdisch- und türkischstämmigen MigrantInnen in Europa auf,
die Bemühungen des Europäischen Friedensrats Türkei zu
unterstützen.




Pogrom ähnliche Attacken auf Kurden in Sakarya

Auf einer Fraktionssitzung der DTP hat der Fraktionsvorsitzende
Ahmet Türk sich zu den faschistischen Angriffen auf eine
Veranstaltung seiner Partei in Sakarya (27.4.08) geäußert. Türk
machte auf die Verantwortung der Hintermänner dieser Aktion
aufmerksam und bezeichnete sie als "organisiert und geplant".
Aufgrund der Besonnenheit der Teilnehmer der kurdischen
Veranstaltung habe eine größere Katastrophe verhindert werden
können, so Türk. Falls der Nationalismus in der Türkei nicht
gestoppt werde, werde eine Balkanisierung einsetzen.

Weiter sprach Türk von "kritischen Entwicklungen die Zukunft der
Türkei betreffend". Es gehe um die Frage, ob "die Türkei ein
Land der Demokratie, des Friedens, der Freiheiten und der
Gerechtigkeit oder zur Dunkelheit des Mittelalters zurückkehren"
werde. Die DTP habe sich seit ihrem Einzug ins Parlament stets
für Dialog und Verständigung eingesetzt. "Wir haben gesagt, die
Militäroperationen sollen gestoppt werden, es soll keinen Krieg
mehr geben, und sie sind mit Panzern über uns gerollt. Am 8.
März, zu Newroz haben wir gesagt, es lebe die
Geschwisterlichkeit der Völker, und haben eine sehr harte
Antwort darauf bekommen. Auf uns wurde geschossen, wir
wurden verprügelt, wir wurden ermordet, ins Gefängnis
geworfen. Es wurde versucht, uns zum schweigen zu bringen.

An manchen Orten traf es die Mütter, an anderen war es ein 15-
jähriger Junge, dem mitten auf der Straße der Arm gebrochen
wurde."

Bei den Angreifern in Sakarya habe es sich um eine
"nationalistische, rassistische Gruppe" gehandelt. Der
Gouverneur der Stadt habe die Vorfälle heruntergespielt, aber
die Gruppe habe über fünf Stunden hinweg ihre Angriffe mit
rassistischen Parolen und Beleidigungen fortgesetzt.
Das Szenario habe deutlich gemacht, welche Dimensionen
Nationalismus, Rassismus und Chauvinismus in der Türkei
angenommen haben. "Die angreifenden Gruppen haben nicht
aus Eigeninitiative gehandelt. Hinter ihnen stehen Kräfte, die sie
dorthin geschickt und in Bewegung gesetzt haben."
(ANF, 29.4.08, ISKU)




§ 301: Alles beim alten

Der Berg kreißte und gebar eine Maus. Nach gut zwei Jahren
heftiger Debatte hat das türkische Parlament unter dem Druck
der Europäischen Union am 30. April 2008 eine Reform des
berüchtigten Strafrechtsparagrafen 301, der die Beleidigung des
"Türkentums" unter Strafe stellte
, beschlossen. Kritiker
bezeichnen die Reform indes als reine Kosmetik. Bestraft wird
jetzt nicht mehr die Beleidigung des "Türkentums", sondern "der
türkischen Nation", ein Begriffswechsel, der es einer Justiz, die in
weiten Teilen als reine Staatsschutzjustiz auftritt, nicht allzu
schwer machen dürfte, weiterhin gegen Journalisten,
Schriftsteller, Menschenrechtlern und kurdischen Politiker
vorzugehen, die sich an die Tabufragen des Armeniergenozids
und des seit über 80 Jahren ungelösten Kurdenfrage
heranwagen.

Bisherige Fassung:

Wer offen das Türkentum, die Republik oder die Große
Nationalversammlung beleidigt, soll mit Haft zwischen sechs
Monaten und drei Jahren bestraft werden. Wer offen die
Regierung der Republik Türkei, die juristischen Einrichtungen
des Staates, die militärischen oder Sicherheitsorgane beleidigt,
soll mit Haft zwischen sechs Monaten und zwei Jahren bestraft
werden. Falls ein türkischer Bürger das Türkentum in einem
anderen Land beleidigt, soll die Strafe um ein Drittel erhöht
werden."

Neufassung:

- Wer offen die türkische Nation, den Staat der
Türkischen Republik oder die türkische
Nationalversammlung und die Rechtsorgane des
Staates herabwürdigt, wird mit einer Freiheitsstrafe von
sechs Monaten bis zu zwei Jahren bestraft.

- Wer offen das Militär und die Sicherheitskräfte des
Staates herabwürdigt, wird entsprechend des Absatzes
1 bestraft.

- Meinungsbekundungen, die mit der Absicht der Kritik
bekundet wurden, stellen kein Verbrechen dar.

- Eine Untersuchung dieses Verbrechens kann nur mit
Erlaubnis des Justizministers erfolgen.

Die Änderungen betreffen:

1) die Senkung der Höchststrafe (von drei auf zwei Jahre),

2) die Ersetzung des schwammigen Begriffs "Türkentum" durch
"türkische Nation",

3) die Straffreiheit für kritische Meinungsäußerungen und

4) die Verlagerung der Zuständigkeit.

Gerade letzteres ist allerdings unvereinbar mit dem Grundsatz
der Gewaltenteilung: Denn wenn die Exekutive - also der
Justizminister - darüber entscheidet, ob ein Verfahren eingeleitet
werden soll, bedeutet dies das Ende der Unabhängigkeit der
Judikative, ganz abgesehen davon, dass diese Regelung
sämtliche Entscheidungen von politischen Konjunkturen
abhängig macht. Mit Grundsatzverfahren gegen diese Regelung
ist mit Sicherheit zu rechnen. Ebenso darf man gespannt sein,
wie in der Rechtspraxis die Trennlinie zwischen straffreier
"kritischer Meinungsäußerung" und strafbarem "Herabwürdigen"
der "türkischen Nation" u. ä. gezogen wird. Bis vor kurzem
fühlten sich türkische Staatsanwälte verpflichtet, die
vermeintliche Beleidigung des "Türkentums" in geradezu
inflationärer Weise zu ahnden. Als entsprechende
Herabwürdigung wurde etwa ein Artikel über die armenische
Abstammung der türkischen Kampffliegerin Sabiha Gökcen oder
die Kritik einer Frauen- und Menschenrechtsanwältin, Eren
Keskin, an der Willkür der Streitkräfte angesehen. Der
Strafrechtsartikel verhinderte nicht nur die offene, demokratische
Erörterung von Fragen, die eine zentrale Bedeutung für die
türkische Gesellschaft besitzen (wie Zypern, die Stellung der
kurdischen Bevölkerung oder die Aufarbeitung des Genozids an
den Armeniern und anderen christlichen Ethnien), sondern führte
auch zur Brandmarkung und damit Gefährdung Verurteilter,
namentlich des am 19. Januar 2007 ermordeten und mehrfach
nach §301 verurteilten armenischen Journalisten und
Menschenrechtlers Hrant Dink.

Die inzwischen von Verbot bedrohte konservativ-islamische
Regierungspartei AKP, die mit der Unterstützung der liberalen
Wählerschaft in der Türkei zur Macht gelangt war, betrieb bisher
nur ein einziges "Reform"vorhaben aus vollem Herzen: die
Aufhebung des Kopftuchverbots. Trotz ständiger in- und
ausländischer Forderungen und Appelle rührte sie drei Jahre
lang keinen Finger gegen den Strafrechtsparagraphen 301, nach
dem allein in der ersten Hälfte des Jahres 2007 1.200
Bürger/Innen der Türkei gerichtlich verurteilt wurden; weit über
700 Fälle sind derzeit noch anhängig.

Die Novelle des 301 vom 30. April 2008 zielt darauf ab, vor allem
das Europäische Parlament und die Europäische Kommission zu
beeindrucken.

"Egal wo ich rede oder was ich schreibe, es kommt sofort zu
einem Strafprozess. Man wird auf einer Seite vor Gericht
gezogen und auf der anderen fürchtet man um sein Leben",
beschreibt die Menschenrechtsaktivistin und Aachener
Friedenspreisträgerin Eren Keskin die Lage der kritischen
Intellektuellen in der Türkei. "Wir erhalten viele Drohungen, weil
wir anders denken als die Mehrheit. Hier in der Türkei fühle ich
mich nicht frei." E. Keskin ist wiederholt nach §301 angeklagt
worden.
(http://www.aga-online.org/de/aktionen/detail.php?newsId=268;
FAZ.NET, NZZ Online und FR, 30.04.08; Der Standard, 2.5.08)




Türkei erwägt Kauf von russischen Flugabwehr-Systemen


Die Türkei will bis zum Jahr 2010 einen eigenen Raketenschild
aufbauen. Seinen Kern könnten die russischen Flugabwehr-
Systeme S-300 bilden, berichtet die Nachrichtenagentur ANKA.
Der Raketenschild soll aus acht Batterien bestehen. Zwei davon
sollen in Istanbul und Ankara aufgestellt werden. Der Lieferant
der Rüstungen soll im Rahmen einer Ausschreibung ermittelt
werden. Die russischen Raketenabwehr-Systeme S-300 haben
laut ANKA gute Chancen für den Sieg. Als Alternative kämen die
US-amerikanischen Systeme Patriot sowie die amerikanisch-
israelischen Arrow in Betracht, die den russischen Waffen jedoch
bei vielen Parametern nachstünden.

Nach Angaben der Zeitung Turkish Daily News (TDN) will die
Türkei eine Milliarde US-Dollar für den Aufbau des
Raketenschildes ausgeben und hat bereits mit den USA,
Russland, Israel und China vorläufige Verhandlungen geführt.
Russland habe der Türkei die Flugabwehr-Systeme S-400
angeboten, berichtet TDN. Das türkische Militär habe noch keine
endgültige Wahl getroffen.
(RIA Novosti, 30.4.08)




1. Mai in Istanbul: "Staatsterrorismus"


Süleyman Celebi, Vorsitzender der Gewerkschaft DISK
(Konföderation Revolutionärer Arbeitergewerkschaften) nannte
die brutalen Übergriffe der Polizei gegen die Teilnehmer der 1.
Mai-Feier "Staatsterrorismus". Über einen ganzen Tag setzte
die Polizei Knüppel, Tränengas und Wasserwerfer gegen die
wartende Menge. Tränengasbomben wurden sogar in frühen
Morgenstunden in das DISK-Gewerkschaftshaus geworfen, wo
über 1000 Gewerkschafter sich noch mit den Vorbereitungen
beschäftigten. Tränengasbomben wurden auch in die
Notaufnahme eines Krankenhauses eingeschleudert, wo sich
kranke Kinder, Frauen und Alte befanden.

Die Verbindungsbrücken zwischen europäischen und asiatischen
Teil über Bosporus wurden gesperrt. Die Metro und die
Straßenbahnen fuhren nicht. Die Fähre zwischen beiden Teilen
von Istanbul wurde stillgelegt. Kurz gesagt, es herrschte über
Istanbul ein nicht deklarierter Ausnahmezustand.
Nach den schweren Übergriffen der Polizei am 1. Mai in Istanbul
nimmt die Kritik an der Regierung Erdogan zu. Die Kritik an der
türkischen Regierung entzündet sich nicht nur an dem Ausmaß
der Polizeigewalt, sondern auch daran, dass es für den
Polizeieinsatz keinen nachvollziehbaren Grund gab. Das
Massenblatt »Milliyet« schrieb über seine Titelseite »Warum?«
»Hürriyet« stellte in dicken Balken auf der Frontseite fest: »1 Mai,
Polizeistaat«. »Radikal«, bisher eine der Zeitungen, die das
Verfahren gegen die AKP am schärfsten verurteilt hat, titelte
ebenfalls über die volle Front: »Die Demokratie der AKP reichte
bis hierher«.

Es war kein normaler 1. Mai in Istanbul gewesen und auch etwas
anderes als eben ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen ein paar
jugendlichen Demonstranten und der Staatsmacht. Die
Auseinandersetzungen begannen kurz nach 6 Uhr.

Hubschrauber kreisten im Tiefflug über den Häusern. Mit
Wasserwerfern, Gasbomben und Knüppelorgien wurde das erste
Häuflein Demonstranten bekriegt, das nichts weiter gemacht
hatte, als sich vor dem Hauptsitz des Gewerkschaftsverbandes
DISK zu versammeln. Das war drei Kilometer entfernt von dem
berühmten Taksim-Platz, auf den die Demonstranten auf keinen
Fall kommen sollten. 1977 starben auf dem Taksim-Platz bei
einer Mai-Demonstration 37 Menschen. Im vergangenen Jahr
wurden Dutzende Menschen verletzt.

Die Demonstration der geballten Staatsmacht dauerte dann den
ganzen Tag. »Radikal« stellte fest, die Regierung habe in den
letzten fünf Monaten getan, was sie nur konnte, um sich selbst
zu isolieren.

Okay Gönensin, linksliberaler Kolumnist der Zeitung «Vatan»
(Das Vaterland), meint, Erdogan verkörpere, obwohl in Istanbul
geboren, die Ideale der türkischen Kleinstadt, ihm seien
westliche Gesellschaften im Grunde fremd, er verstehe sie nicht
einmal ganz. Gewerkschaften seien im paternalistischen Denken
der Kleinstadt einfach etwas Überflüssiges. Reformen habe er
eine Zeitlang gemacht, weil er sie gebraucht habe, aber nicht,
weil er als Reformer geboren worden sei. Seine Regierung
mache nur noch das Allernötigste, weil es die EU eben verlange.

Dann zählt er alle die Schritte auf, mit denen die Regierung die
Gewerkschaften brüskiert hat. Zum Beispiel verglich
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan die Arbeiter mit den
Füßen, die auf den Kopf hören sollten. Schließlich am Ende das
Beharren der Regierung auf dem Verbot der Demonstration zum
1. Mai auf Istanbuls zentralem Taksim-Platz. Das wurde begleitet
von einer Einschüchterungskampagne, zu der auch die
Eröffnung von Strafverfahren gegen die Gewerkschaftsführer
wegen ihres Demonstrationsaufrufs gehörte.

Schon vor dem 1. Mai war eine allmähliche Abwendung der
türkischen Liberalen von Erdogans AKP spürbar. Darunter sind
Leute, die Erdogan jahrelang unterstützt haben, weil sie sich von
ihm das Aufbrechen verkrusteter Strukturen erhofften, weil sie
mehr Demokratie wollen und weil sie in die EU wollen. Doch der
Reformeifer der Regierung ist lange erloschen. Wollte Erdogan
nun zeigen, dass er auch den starken Staat machen kann, wie
schon an Newroz diesen Jahres als in den kurdischen Gebieten
vier Menschen bei Demonstrationen starben? Meint Erdogan,
zeigen zu müssen, dass die Demokratie mit ihm nicht so weit
geht, dass der Staat nicht mehr hart durchgreifen kann?
(taz.de, Reuters und AFP, 1.5.08¸ Neues Deutschland und
junge Welt, 2.5.08; Neues Deutschland, Tagblatt
und Die Presse, 3.5.08)




Türkei bombardiert seit Dezember 2007
kurdisches Territorium im Irak


Seit Dezember 2007 bombardiert die türkische Luftwaffe fast
wöchentlich Irakisch-Kurdistan, zuletzt in der Nacht zum 2. Mai
2008. In der gleichen Zeit führte eine türkische Delegation
Gespräche mit kurdischem Premier Necirvan Barzani.

Bei den Luftangriffen der türkischen Armee auf Stellungen der
PKK seien nach Angaben des türkischen Generalstabs in der
Nacht zum 2. Mai 2008 "mehr als 150 Mitglieder der PKK getötet
worden. Auch Murat Karayilan, Vorsitzender des Exekutivrates
der KCK sei getötet worden, teilte der Generalstab nach
Abschluss der Operation mit.

Etwa 50 türkische Kampfflugzeuge bombardierten nach Angaben
des Generalstabs 43 Ziele auf den Kandilbergen, die hundert
Kilometer südlich der türkisch-irakischen Grenze liegen. Ziele
seien Orte der PKK-Führung, Zufluchtsstätten und Höhlen
gewesen, ferner Lager und eine Anlage für die
Telekommunikation. Sie alle seien zerstört worden.

In einer schriftlichen Erklärung dementierte der Exekutivrat der
KCK die Verlautbarungen des türkischen Generalstabs.

Demnach hat der Luftangriff dem PJAK-Hauptquartier und
weiteren PJAK-Einheiten gegolten, die gegen Iran kämpfen. Das
Pressebüro der PJAK sei dabei getroffen worden und sechs
PJAK-Mitglieder ums Leben gekommen, darunter fünf in der
Pressearbeit tätige Personen. Betroffen seien auch Dörfer in der
Umgebung, in denen es zu schweren Sachschäden gekommen
sei.

In der genannten Erklärung wird noch auf die folgendes
hingewiesen: "Bei seinem kürzlichen Irak-Besuch hat der
iranische Staatspräsident Ahmedinejat die Türkei und den Irak
dazu aufgerufen, gemeinsam mit dem Iran gegen die kurdische
Befreiungsbewegung vorzugehen. Die Aufklärungstätigkeiten
beider Staaten im Grenzgebiet und über Kandil, die als Resultat
eines zwischen der Türkei und dem Iran geschlossenen
Bündnisses entstanden sind, haben bereits im Vorfeld darauf
hingewiesen, dass eine gemeinsame Angriffsphase auf die
kurdische Befreiungsbewegung stattfinden wird. Drei Tage vor
dem Angriff fand eine gemeinsame Aufklärung über dem PJAK-
Gebiet der Türkei, des Iran und des Irak statt. Einen Tag vor dem
Angriff waren US-Aufklärungsflugzeuge über dem betroffenen
Gebiet. Daraus ist deutlich geworden, dass beide Seiten ihre
Aufklärungsergebnisse zusammengebracht haben."

Murat Karayilan, der vom Generalstab der Türkei als getötet
gemeldet wurde, meldete sich am 7. Mai 2008 über ROJ-TV und
nahm zu aktuellen Entwicklungen Stellung.
(ANF und Der Standard, 2.5.08; NZZ Online, 3.5.08;
FAZ, 4.5.08; ANF und FAZ, 5.5.08, ISKU)




Ankara spricht mit Erbil/Hewlêr


Zum ersten Mal haben hochrangige türkische Vertreter und
Mitglieder der nordirakischen Kurdischen Regionalregierung
einander getroffen. Das Treffen fand in Bagdad statt, die
türkische Seite war von Ahmet Davutoglu, Berater von Premier
Recep Tayyip Erdogan, vertreten, auf kurdischer Seite führte
Premier Nechirvan Barzani die Delegation an.

Bisher hatte Ankara immer nur mit der Regierung in Bagdad
verhandelt und offene direkte Kontakte zur kurdischen
Regionalregierung in Kurdistan tunlichst vermieden. Die weit
reichende Autonomie der Kurden im Nordirak ist Nationalisten in
Ankara ein Dorn im Auge, fürchten sie doch, dass sie erstens die
Ambitionen der eigenen Kurden bestärken könnte, und zweitens
letztlich zu einem unabhängigen Kurdenstaat im Nordirak führt.
Es ist ein altes türkisches Trauma, in der Aufteilung des
Osmanischen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg begründet,
dass jede territoriale Veränderung in der Region zu Ungunsten
der Türken ausgeht.

Dazu kommen die Vorwürfe an Erbil, die PKK zu unterstützen
und an Bagdad, die irakischen Grenzen nicht zu kontrollieren.
Auf der anderen Seite stehen die kurdischen Ängste, dass die
PKK nur einen Vorwand für türkische Militäroperationen bietet,
die die Kurdische Regionalregierung und ihr - weitgehend
stabiles - Autonomiegebiet schädigen sollen.

Einerseits spricht Ankara mit Kurden im Irak und zeitgleich
bombardiert die türkische Luftwaffe kurdisches Territorium im
Irak. Der Journalist Cengiz Candar bezeichnete dieses in sich
widersprüchliche Vorgehen folgendermaßen: "Die Militär möchte
mit der Bombardierung zeigen, wer Herr im Lande ist und sendet
sowohl an die Adresse der AKP-Regierung als auch der
kurdischen Regierung die Botschaft: ,Egal was ihr beschließt, am
Ende entscheiden wir, wo es lang geht."
(Der Standard und Referans, 3.5.08)




Ilisu-Staudamm droht das Aus

Der Ilisu-Staudamm, eines der umstrittenen Energie-Projekte der
Türkei, ist in einer kritischen Phase. Derzeit prüfen Österreich,
die Schweiz und Deutschland, ob die Türkei Auflagen wie eine
sozialverträgliche Umsiedlung tausender Menschen einhält.
Insgesamt geht es um rund 150 Auflagen an die Behörden.
Die Türkei musste bis Ende April nachweisen, dass sie bei den
Auflagen mehr Dampf macht. Anfang März hatte ein
Expertenbericht festgestellt, dass das Staudammprojekt am
Tigris nahe der Grenze zu Syrien und dem Irak die
internationalen Standards für Umwelt, Umsiedlungen und
Kulturgüter nicht einhält.
(Der Standard, 2.5.08; Weitere Informationen: www.weed-
online.org/ilisu)





Kurdische Kinder wegen eines Liedes vor dem Kadi


Sechs Mitglieder eines Kinderchors stehen seit dem 1. Mai 2008
in Diyarbakir vor Gericht, weil sie ein kurdisches Lied gesungen
haben. Laut den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft haben die
angeklagten Kinder im Alter von 14 und 15 Jahren im
vergangenen Oktober bei einem Auftritt während des World
Music Festivals im US-amerikanischen San Francisco den
Marsch »Ey Ragip« angestimmt - und sollen so Propaganda für
die in der Türkei verbotene PKK (Arbeiterpartei Kurdistans)
geleistet haben. Angeklagt sind die Kinder nach dem
berüchtigten »Antiterrorgesetz«, das verschärfte Strafen vorsieht.
Im Falle einer Verurteilung drohen ihnen bis zu fünf Jahre Haft.
Nach Angaben von Baran Pamuk, einem der Verteidiger der
Kinder, sind die Vorwürfe allerdings nicht haltbar. So gehöre der
Marsch zwar durchaus zum Liedgut der PKK, werde aber
keinesfalls exklusiv von der Guerilla gesungen. Vielmehr sei das
Lied auch Nationalhymne der kurzlebigen kurdischen Republik
von Mahabad in Iranisch-Kurdistan im Jahre 1946 gewesen und
auch heute wieder Nationalhymne der kurdischen
Autonomieregion in Irakisch-Kurdistan. Darüber hinaus ist das
Lied den Verlautbarungen Pamuks zufolge bei vielen kurdischen
Gruppierungen unterschiedlichster politischer Auffassungen in
allen Teilen Kurdistans populär. Geschrieben wurde der Text
bereits in den 40ger Jahren des vergangenen Jahrhunderts,
etwa 35 Jahre also vor Gründung der PKK.

Repressalien und Prozesse gegen Minderjährige wegen
angeblicher Sympathien für die Guerilla sind in der Türkei nicht
ungewöhnlich. So waren erst kürzlich im Anschluss an die
kurdischen Newroz-Feierlichkeiten im März mehrere Kinder teils
wochenlang in Untersuchungshaft genommen worden. Dem
türkischen Menschenrechtsverein (IHD) zufolge dienen die
Prozesse und Verhaftungen vor allem dem Zweck, ein
abschreckendes Beispiel für andere Jugendliche zu statuieren.
(junge Welt, 3.5.08)





Muzaffer Ayata verurteilt

Ein kurdischer Politiker ist am 10. April 2008 vom
Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main wegen angeblicher
Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung nach
Paragraph 129 Strafgesetzbuch zu 3 1/2 Jahren Haft verurteilt
worden. Das Gericht wirft dem im August 2006 in Mannheim
verhafteten 52jährigen Muzaffer Ayata vor, als hauptamtlicher
Kader für die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans PKK die Arbeit
in Süddeutschland geleitet zu haben. Das Urteil des OLG stützt
sich hauptsächlich auf Telefonüberwachungen und
Zeugenaussagen ehemaliger PKK-Mitglieder. Der seit 2002 in
Deutschland lebende Ayata arbeitete unter anderem als Europa-
Vertreter der mittlerweile in der Türkei verbotenen kurdischen
Parteien HADEP und DEHAP. Journalistisch setzte er sich in der
Tageszeitung Özgür Politika für eine friedliche Lösung des
Kurden-Konfliktes ein. Während Ayatas Anwälte Revision gegen
das Urteil ankündigten, ist beim OLG Frankfurt ein
Auslieferungsverfahren angelaufen. Die türkische Justiz macht
Ayata, der bereits 20 Jahre in türkischer Haft verbrachte, für
3000 Morde mitverantwortlich -- gemeint sind offensichtlich bei
Gefechten mit der PKK-Guerilla getötete Soldaten.

Ebenfalls am gleichen Tag stürmte die Polizei den kurdischen
Kulturverein Birati in Bremen und neun Wohnungen von
Vereinsmitgliedern. Die Staatsanwaltschaft ermittelt aufgrund
von Spendensammlungen für die PKK wegen »Bildung einer
kriminellen Vereinigung«. Dies sei eine »neue Qualität der
psychologischen Kriegsführung gegen die kurdische
Befreiungsbewegung in Europa«, sagte Monika Morres vom
Rechtshilfefonds für Kurden AZADI in Düsseldorf. Bislang
wurden Spendensammler wegen Verstößen gegen das
Vereinsgesetz mit Geldstrafen belegt. Jetzt droht Haft wegen
Unterstützung oder Bildung einer kriminellen Vereinigung. So
solle die Mitgliedschaft der Kulturvereine eingeschüchtert
werden.
(FR und Azadî, PM, 10.4.08; junge Welt, 11.4.08)





Kurdische Medien im Visier der Strafverfolgungsbehörden


"Auf der Grundlage eines Beschlusses des Verwaltungsgerichts
Köln, veranlasst vom Landeskriminalamt NRW, wurden am 7.
Mai 2008 die Studioräume des in Wuppertal ansässigen
kurdischen Fernsehsenders Roj TV, der Produktionsfirma VIKO
sowie die Privatwohnungen aller Mitarbeiter/innen durchsucht.
Außerdem führten Polizeikräfte eine Razzia in der Kölner
Wohnung eines sowohl für den Sender als auch für die
prokurdische Tageszeitung Yeni Özgür Politika tätigen
Journalisten durch.

Azadî protestiert in aller Schärfe gegen das fortgesetzte
polizeiliche und politisch motiviertes Vorgehen gehen kurdische
Institutionen und ihre Mitarbeiter/innen.
Diese jüngsten Repressionsmaßnahmen sind Beleg dafür, dass
die deutsche Politik den vielfachen Forderungen des türkischen
Staates nach Zerschlagung der Strukturen der kurdischen
Bewegung bereitwillig folgt.

Sind seit Monaten erhebliche Verschärfungen in der
Strafverfolgung kurdischer Aktivist(inn)en zu konstatieren, zielen
diese Durchsuchungen darauf ab, die kurdischen Medien zu
zerschlagen, um eine (kritische) Berichterstattung über die
eskalierende Situation in der Türkei und im Norden des Irak
gegen die kurdische Bevölkerung unmöglich zu machen. So
zeichnet sich ab, dass die türkische Seite mit US-, israelischer
und iranischer Unterstützung die kurdische Frage mit
militärischen Methoden "lösen" will und die deutsche Politik
dieses Treiben mit polizeilichen und strafrechtlichen Mitteln
begleitend unterstützt."
(Azadî e.V., PM, 7.5.08, azadi@t-online.de)





Weiterhin offiziell keine alevitischen Versammlungsräume

Der Parlamentarier Süleyman Yagiz hatte eine Anfrage an
Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan gerichtet mit der
Bitte, alevitischen Versammlungsräumen (Cemevleri) einen
offiziellen Status als Plätze religiöser Anbetung zu geben. Darauf
erging eine ablehnende Antwort. Der Leiter des türkischen
Religionspräsidium DIB, Ali Bardakoglu, antwortete, eine solche
Anerkennung würde die bereits vorhandene Abspaltung des
Alevismus vom türkisch-sunnitischen Islam weiter verfestigen.

Alle Moscheen in der Türkei gehörten, so Bardakoglu allen
islamischen Glaubensgruppen. Laut Bardakoglu habe es in der
islamischen Geschichte keine Muslime gegeben, die eine
alternative Moschee gegründet hätten. Deshalb seien die
alevitischen Versammlungsräume auch keine alternativen
Moscheen. Parlamentarier Süleyman Yagiz lehnte die
Einstellung und die Argumente Bardakoglus entschieden ab.

Wer die Türkei kennt, weiß, dass die türkischen Moscheen de
facto nur Versammlungsstätten für Anhänger des sunnitischen
Islam sind. Viele Teile der Aleviten verstehen sich als
eigenständige Religionsgemeinschaft, andere als eine
muslimische Gruppierung. Aleviten beten nicht in Moscheen,
sondern versammeln sich in eigenen Versammlungshäusern.

Männer und Frauen kommen zu rituellen Tänzen unter der
Leitung von Ältesten (Pîr und Dede) zusammen. Aleviten leiden
in der Türkei durch ihre Vereinnahmung durch den sunnitischen
Islam, von dem sie sich nicht vertreten fühlen.
(Institut für Islamfragen, mk, 27.4.08; Mesop, 28.4.08;
www.zaman.com.tr/haber.do?haberno=675399)





Internationaler Aufruf


An der größten Newroz-Veranstaltung in der Metropole
Diyarbakir 2008 nahmen im März 2008 über eine halbe Million
Menschen teil, in Städten wie Cizre oder Sirnak beteiligten sich
an die 20.000 Menschen. In mehreren kurdischen Städten im
kurdischen Südosten der Türkei  griffen  im März und April 2008
türkische Polizei und Militär die feiernden Menschen an, weil sie
Newroz feierten.

Die Staatskräfte gingen mit unverhältnismäßiger Brutalität vor,
schossen willkürlich auf  jeden, der sich auf der Straße befand,
Die Polizisten prügelten auf bereits auf dem Boden liegende
Kinder  und  alte Menschen ein. Sie verwüsteten Wohnungen,
Geschäfte und Autos.

Sondereinsatzkommandos bzw. Polizei riefen mit Lautsprechern
aus fahrenden Autos: "Ihr seid keine Menschen",  die Polizei
durchsuchte  Frauen auf erniedrigende Art und Weise bis unter
die Unterwäsche. Kurdische Abgeordnete, der Bürgermeister von
Hakkari  und Mitglieder der legalen Partei DTP wurden beleidigt,
bedroht, tätlich angegriffen und in ihrer Arbeit behindert.

Polizei und Militär verwüsteten bei den Angriffen auch willkürlich
kurdisches Eigentum, Häuser, Autos und Geschäfte.

In Nordkurdistan nahmen Polizei und Sondereinsatzkommandos
über 2000 KurdInnen fest, davon wurde fast die Hälfte inhaftiert,
darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Die genaue Zahl der
inhaftierten und angeklagten Menschen steht noch nicht fest,
vergrößert sich jedoch infolge der Proteste gegen dieses
Vorgehen täglich.

Vier Menschen erlagen bereits ihren Verletzungen. Der 25-
jährige Ramazan Dag, der in Van verstarb, hatte vielfache
Brüche und eine Schusswunde am Bauch, d.h. er wurde zuerst
geprügelt und dann gezielt erschossen. Die Eltern durften ihren
Sohn nach seinem Tod nicht mehr sehen.

In dieser Atmosphäre prügelte die Polizei zahlreiche Kinder und
Jugendliche, bis sie bewußtlos mit dem Gesicht auf der Straße
liegen blieben, Schädel und Gesicht zertrümmert waren. Kinder,
die noch gehen konnten, wurden festgenommen, gefoltert,
verhaftet und unter dem Vorwurf des Terrorismus in
Isolationshaft gesteckt.

Die vorliegenden Fakten: Zeugenberichte, Fernsehaufnahmen,
etc. beweisen ohne jeglichen Zweifel, dass die gesamte
Bevölkerung kurdischer Städte angegriffen, Menschen willkürlich
und systematisch getötet und verletzt werden sollten. Die
"Sicherheitskräfte" gingen dabei gezielt gegen Kinder und
Jugendliche vor.

Menschen, die wegen der Vorfälle Anzeigen bei der
Staatsanwaltschaft erstatten wollen, werden eingeschüchtert und
bedroht. Sie riskieren wie der damals 13-Jährige A, Y. eine
Anklage wegen Terrorismus, 15 Jahre Haft und eine grundlose
Abweisung ihrer eigenen Klage. Das Alter der Angeklagten spielt
dabei keine Rolle. Mehrere Kinder  und Jugendliche sind bereits
wegen Terrorismus angeklagt.

Die Kliniken lehnten zahlreiche Verletzte, auch Kinder ab, und
gaben sämtliche Daten von Verletzten an Polizei und Militär .
Aus Angst, denunziert zu werden, lassen sich viele nicht
behandeln.

Der Fall des 15-jährigen Cuneyit Ertus hat in den letzten Wochen
in dieser Hinsicht traurige Berühmtheit erlangt.

Link: http://www.dailymotion.com/related/8202245/video/x4vdol_n
ewroz-tragedy-2008-better-version_news

Auf dem Video sichtbar, bricht der Folterer Turgay Sen  zu
Anlass der Newrozfeiern in Hakkari dem 15-jährigen Cuneyit
Ertus den Arm nach hinten durch. Die Folterer ließen danach
einen sog. ärztlichen Bericht erstellen, wonach dem Jungen
nichts fehle und er keinerlei Beschwerden gegen die Polizei
habe. Dem "ärztlichen Bericht" sind keinerlei
Untersuchungsergebnisse beigefügt. Cuneyt Ertus wurde auch
in der Haft gefoltert. Seitdem ist Cuneyit ohne medizinische
Behandlung geblieben.

Obwohl amnesty im Fall Cuneyit Ertus fordert, die
Verantwortlichen zu bestrafen, sind Turgay Sen und die beiden
anderen Folterer immer noch in Hakkari unterwegs und jagen
weitere Menschen.

Alle Aktionen von Polizei und Militär waren angeordnet und von
den höchsten Stellen abgesegnet.

Die Übergriffe gegen die kurdische Bevölkerung sind unabhängig
von der Gesetzgebung der Türkei, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und sollten eine weltweite Ächtung erfahren.
Angesichts der jüngst verübten grundlosen Repressionen gegen
die kurdische Bevölkerung  appellieren wir weltweit an die
Öffentlichkeit, die Institutionen der EU und den Europarat, den
EU-Erweiterungskommissar, Olli Rehn, der für die
Beitrittsverhandlungen der Türkei zuständig ist, und Frankreich,
das die Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2008 innerhalb der
Europas innehaben wird:

Auf die Türkei muss effektiv und schnell Druck ausgeübt werden,
um eine sofortige Freilassung und eine ärztliche Behandlung
insbesondere der inhaftierten und gefolterten Kinder zu erwirken
damit die Türkei die unbegründeten  und automatischen
Terrorismusklagen, insbesondere gegen Kinder und Jugendliche
fallen lässt. <