Homosexuelle Gläubige sind keine Katakombenchristen
Geschrieben von jnwwebmaster am October 28 2008 16:44:51

Homosexuelle Gläubige sind keine Katakombenchristen


Interview mit Jürgen Erbach und Kristof Heil


Jürgen Erbach und Kristof Heil hatten am 15. August 2008 den kirchlichen Segen für ihre Beziehung im Wetzlarer Dom empfangen. Daraufhin wurde Pfarrer Peter Kollas als Bezirksdekan von Limburger

 

Joachim Schaefer: Hatten Sie nicht mit einer Reaktion des Bischofs rechnen müssen?

 

Kristof Heil: Ja schon. Aber mit so einer harten Reaktion haben wir nicht gerechnet. Wir gingen davon aus, dass Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst das Gespräch mit Peter Kollas sucht und es bei einer Mahnung belässt. Stattdessen hat der Bischof Peter Kollas einbestellt und ihm ohne Diskussion und Gespräch, die Abberufung als Bezirksdekan mitgeteilt. Offenbar hatte der Bischof sogar noch weitergehende Strafmaßnahmen beabsichtigt. Davon scheinen ihn besonnene Berater abgehalten zu haben.

 

Joachim Schaefer: Waren Sie dann von dem Medienecho auf ihre Segnung überrascht?

 

Jürgen Erbach: Zunächst: Das deutschland- und europaweite Medienecho hat nicht unsere Segnung ausgelöst. Über unsere Segnung hätte niemand berichtet. Das Thema in den Medien war und ist die Abberufung von Peter Kollas als Bezirksdekan durch den Limburger Bischof.

 

Joachim Schaefer: Wie war Ihre Reaktion?

 

Kristof Heil: Wir waren gerade kurz vor unserem Urlaubsziel in Holland als uns die Nachricht der Abberufung von Peter Kollas als Bezirksdekan erreichte. Wir waren enttäuscht und entrüstet. Wir hatten Peter Kollas als Mensch und als Seelsorger sehr schätzen gelernt.

 

Joachim Schaefer: Wie war das überhaupt. Warum legten Sie wert auf eine Segnung?

 

Jürgen Erbach: Wir sind im christlichen Glauben verankert – uns geht es nicht anders als heterosexuellen Christen, wenn es um Beziehungsfragen geht. Kristof hatte mich am Valentinstag gefragt, ob wir nicht am 15.08.2008, das ist unser Jahrestag, seit dem 15.08.1988 leben wir zusammen, unsere Lebenspartnerschaft eintragen lassen sollten. Er hat – wie man sich das so vorstellt, stillvoll mit schickem Essen, Champagner, 20 Rosen für 20 gemeinsam verbrachte Jahre, um die Hand angehalten – und ich habe damals „Ja“ gesagt. Zunächst ging es um den Rechtsakt der eingetragenen Lebenspartnerschaft. Die Eintragung wird in Wetzlar normalerweise im Rechtsamt mit Unterschrift unspektakulär vorgenommen. Aufgrund unserer Kontakte – ich hatte die Idee für den Optikparcours, einem Bürgerprojekt, das die Kompetenz Wetzlars in Optik und Feinmechanik auf die Straße bringt und bin deshalb in Wetzlar gut vernetzt – sprach ich Oberbürgermeister Wolfram Dette an. Herr Dette war sofort bereit, uns bei der Eintragung unserer Lebenspartnerschaft zu begleiten.

 

Joachim Schaefer: Und die Segnung?

 

Jürgen Erbach: Für uns war es dann selbstverständlich auch den kirchlichen Segen zu erbitten. So haben wir Peter Kollas aufgesucht. Er war – das war sehr erfrischend – sofort dazu bereit. Es sollte ursprünglich ein ökumenischer Akt, gemeinsam mit meinem Jugendpfarrer, Arnulf Linden, werden.

 

Joachim Schaefer: Das hat dann so aber nicht geklappt.

 

Jürgen Erbach: Nein. Der Wetzlarer Dom ist eine von 7 Simultankirchen in Deutschland, die sowohl von Katholiken wie auch Protestanten genutzt wird. Die evangelische Kirche in Wetzlar gehört zur rheinischen Landeskirche. Die rheinische Landeskirche hat es den Presbyterien freigestellt, selbst zu entscheiden, wie man vor Ort mit der Segnung homosexueller Partnerschaft umgehen will. Die Wetzlarer Domgemeinde hat sich gegen die Segnung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Nach einigem Hin und Her wurde es ein katholischer Gottesdienst mit unserer Segnung unter privater Begleitung meines Jugendpfarrers.

 

Joachim Schaefer: Hätten da nicht alle Alarmsignale angehen müssen? Landläufig würde man eher vermuten, dass die evangelische Seite sich unkomplizierter der Segnung homosexueller Partnerschaften öffnet als die katholische.

 

Kristof Heil: Nicht in Wetzlar. Wetzlar ist – wie wir auch später erst erfahren haben - eine Hochburg der Evangelikalen, also der Bibeltreuen. Auf den Punkt gebracht. Ein ausgesprochen konservatives evangelisches Spektrum.

 

Joachim Schaefer: Wie war das am 15.08.?

 

Jürgen Erbach: Wunderbar. Einmalig. Unvergesslich.

 

Kristof Heil: Wegen des Wetters waren wir unter großer Anspannung. Noch wenige Tage vorher war Regen prognostiziert. Wir wollten mit unseren Gästen auf dem Sonnendeck unserer Immobilie feiern. Es blieb dann aber am 15.08. trocken. Bis kurz vor 15 Uhr, dem Termin für den standesamtlichen Akt, waren wir sehr gespannt. Wir hatten nichts Konkretes geplant, sondern lediglich Mitwirkende angesprochen. Unsere Zeremoniemeisterin hatte aber alles gut im Griff. Alles hat sich auf wunderbarerweise gefügt und wenn es Pannen gegeben hat, dann haben unsere Gäste nichts davon gemerkt.

 

Jürgen Erbach: Eine persönliche Ansprache vom Oberbürgermeister, der schlichte Eintragungsakt, die musikalische Begleitung von Birgit Rütters, der musikalischen Botschafterin aus Frankfurt. Zufällig hatte der Oberbürgermeister an diesem Tag seinen 57. Geburtstag, so dass er von uns noch ein Geschenk überreicht bekam.

 

Joachim Schaefer: Und dann mit Flötenspieler vorne weg weiter?

 

Jürgen Erbach: Wir hatten viele auswärtige Gäste. Die Herausforderung bestand darin, diese von einem Ort zum anderen zu führen und das ohne die ganz normale Hochzeitsgeflogenheiten wie Kutsche oder Autocorsos. Es gab dann einen Zwischenstopp im Bistro am Dom mit Erfrischungsgetränken. Das sollte einfach dazu dienen, dass zwischen dem staatlichen Eintragungsakt und der kirchlichen Segnung eine Besinnungspause sein sollte.

 

Joachim Schaefer: Und dann der Dom?

 

Kristof Heil: Ja, ein sehr würdevoller Gottesdienst. Ganz bewusst ging es um Empfang eines Segens und nicht um ein Ehesakrament. Das zog sich durch den gesamten Gottesdienst. Ein Highlight war der Gesang des Chors TonArt Cäcilia, der von der nachhallenden Akustik des Doms aufgenommen wurde. Viele Gäste waren versucht zu klatschen, haben dies dann aber doch unterlassen, weil sie die Würde des Augenblicks spürten. Eine zentrale Aussage unseres Treueversprechens war, gemeinsam Gott und den Menschen dienen zu wollen.

 

Joachim Schaefer: Von besonderer Bedeutung waren auch Ihre Fürbitten?

 

Jürgen Erbach: Für viele unserer Gäste brachten sie unsere Anliegen prägnant auf den Punkt. Die Fürbitten hatten auch eine Vorgeschichte. Meine Tante väterlicherseits mit ebenfalls evangelikalem Hintergrund schrieb mir, wie entsetzt sie unsere beabsichtigte Segnung zur Kenntnis genommen habe und zitierte in einem mehrseitigen handgeschriebenen Brief Bibelstelle für Bibelstelle. Sie belegte uns quasi mit einen Fluch. Sie bete jeden Tag, dass Gott uns, Kristof und mir, Leid antue, so dass es gar nicht zur der Segnung am 15.08. komme.

 

Joachim Schaefer: Unter diesem Eindruck haben Sie dann die Fürbitten selbst verfasst?

 

Jürgen Erbach: Genau. Wir wollten herausstellen, dass auch wir Gottes Geschöpfe sind. Außerdem ging es uns um Wahrheit und Klarheit. Viele Homosexuelle versuchen sich und ihrer Umwelt das perfekte heterosexuelle Leben bis hin zur perfekten Familienidylle vorzuspielen. Es bedarf keines Hinweises, was für Lebensdramen und – tragödien mit solchen Lebenslügen für die Betroffenen selbst, die Partner und Kinder verbunden sind.

 

Kristof Heil: Das war für uns nie ein Thema, uns zu verstecken. Wir laufen auch nicht mit einem Schild vor der Brust „wir sind schwul“ herum. Viele erleben uns im Doppel- oder – da unsere beiden Hunde Max und Moritz auch immer dabei sind -  im Viererpack. Nach ein- oder zwei Begegnungen besteht wohl bei fast allen unserer Gesprächspartner kein Zweifel mehr, dass wir ein Paar sind.

 

Jürgen Erbach: Darüber hinaus wollten wir mehr Toleranz für alle Menschen, die aus welchen Gründen auch immer, anders sind, erbitten.

 

Joachim Schaefer: Erinnerte der Gottesdienst dann nicht doch an eine klassische Hochzeit?

 

Kristof Heil: Nein, ganz bewusst nicht. Keine Hochzeitsmusik oder andere Riten, die in irgendeiner Art an eine Hochzeit oder Trauung hätten erinnern können. Würdevoll ja, aber keine Anlehnung an die Erteilung des Ehesakraments. Ehe und Familie sind auch für uns etwas anderes als eine Lebenspartnerschaft. Also klare Abgrenzung zu Ehe und Hochzeit, aber ein würdevoller kirchlicher Akt, in dem Gemeinde und Kirche auch uns homosexuelle Gläubige als Mitglieder, aber auch als Paar, mit einem Segen begleiten.

 

Jürgen Erbach: Ganz ohne Segen können wir die letzten 20 Jahre nicht miteinander gelebt und geliebt haben, sonst hätte unsere Beziehung nicht so lange gehalten. Viele heterosexuelle Beziehungen halten heute nicht mehr annähernd so lange. Gott hat uns dann auch ein ganz besonderes Geschenk gemacht: Kurz vor Ende des Gottesdienstes –Pfarrer Kollas hat darauf besonders in seinem Schlusswort hingewiesen- schien die Sonne und sie hat uns für den Rest des Tages begeleitet. Ein wunderbares Zeichen von oben.

 

Joachim Schaefer:  Dann mit Flötenspieler zum Sonnendeck und ein großes Fest?

 

Jürgen Erbach: Ja, so wie es auch jedes heterosexuelle Paar, das 20 Jahre zusammen lebt und sich gerade vor Gott und den Menschen zueinander bekannt hat, tun würde.

 

Joachim Schaefer: Einige Menschen meinten: „Wir haben ja nichts gegen Schwule, aber müssen Sie so öffentlich und so pompös ihre Partnerschaft besiegeln?“

 

Kristof Heil: Geben die Menschen, die sie gerade anführen auch heterosexuellen Paaren diesen „Rat“ mit auf den Weg? Liebe ist etwas Wunderbares. Das sieht die Bibel auch so. Die Liebe ist das zentrale Thema der Bibel. Die Liebe zwischen zwei Menschen, die Nächstenliebe, die Liebe von Vater und Mutter zu ihren Kindern und schließlich die Liebe Gottes zu den Menschen. Als Ausdruck dieser Liebe hat Gott seinen Sohn zu uns Menschen gesandt und Gottes Sohn war interessanterweise nicht bei den Privilegierten. Im Gegenteil. Gott hat immer auf der Seite der Schwachen gestanden. Und ich bin sicher, er hat auch im Dritten Reich Juden, Sinti, Roma und auch Homosexuellen Kraft und Beistand gegeben, als sie von den Nazis umgebracht wurden. Aber das ist ein eigenes Thema, ob und wie die Gesellschaft die Ermordung Homosexueller im Dritten Reich persönlich aufarbeitet. Zurück zur Liebe. Die Liebe zweier Menschen, auch die Liebe zweier gleichgeschlechtlicher Menschen ist ein großartiges Ereignis und auch ein Geschenk Gottes, das jeder so feiern möge, wie er das mit seinem Bekanntenkreis – ob groß oder klein – feiern möchte.

 

Jürgen Erbach: Wir kamen weder auf die Idee zu sagen, von den zahlreichen Hochschulkollegen oder den hunderten von Studierenden und Absolventen, die ich in einer entscheidenden Phase ihres Lebens begleiten darf, lade ich nur den- oder diejenigen ein. Wir haben alle eingeladen. Es hätten also auch weit mehr werden können. Jeder Gast war uns herzlich willkommen.

 

Joachim Schaefer: Und dann der Schock, die Abberufung von Peter Kollas?

 

Kristof Heil: Kein Supergau. Für Peter Kollas ein herber Schlag. Aber auch die Ereignisse, nach dem 15.08., sind Gott gewollt. So sieht das auch Peter Kollas. Peter Kollas hat an dem Tag, an dem wir von Professor Schüller, Leiter Kirchenrecht, und Dr. Löhr, Leiter pastoraler Dienste in der Limburger Diözese, empfangen wurden, bekräftigt, dass es bei dem von ihm erteilten Segen um eine niederschwelligere Frage als das Ehesakrament ging. Er bekräftigte – anders als dies in der bischöflichen Presseerklärung zur Abberufung wiedergegeben wird -, dass er sich zwar zukünftig an das bischöfliche Verbot einer Segnung homosexueller Paare halten werde, dass er es aber zutiefst bedauert. Kollas mahnt in diesem Interview zu Recht an, jetzt in eine gesellschaftliche Diskussion einzutreten.

 

Jürgen Erbach: Das ist die große Chance. Homosexuelle müssen sich öffnen und den Mut haben, Heterosexuellen  Einblick in die Normalität ihrer Beziehung zu gewähren. Denn nur da, wo Unwissenheit oder absurde Vorstellungen von homosexuellem Leben herrschen, da können sich Vorurteile bilden. Umgekehrt müssen heterosexuelle Menschen bereit sein, unvoreingenommen auf Homosexuelle zuzugehen. Dies wird zu einer positiven Rückkopplung auf die homosexuelle Realität haben. Viele nicht so schöne Erscheinungsformen, die es nur gibt, weil Homosexuelle meinen, sich wegen ihres Andersseins verstecken zu müssen, werden dann verschwinden. Es wäre schön, wenn die solidarische Gesellschaft und die Gemeinden homosexuelle Menschen mit tragen.

 

Joachim Schaefer: Es wurde eine heftige Debatte ausgelöst. Über die deutschen Grenzen hinweg berichteten die Medien (Presseüberblick).


Jürgen Erbach: Das war beeindruckend und nicht vorhersehbar. Dann wenn man sich die Beiträge genau anschaut, dann vermeiden fast alle die Auseinandersetzung mit der Homosexualität als solcher. Gräfin von Thurn und Taxis hält es gar für eine Modeerscheinung. Sie muss es ja nach ihrer Sturm- und Drangphase wissen. Aber im ernst: Auch die Solidaritätsbriefe der Domgemeinde waren enttäuschend. Der Tenor: Lieber Bischof, du hast unseren lieben Pfarrer Peter Kollas abgestraft, der hat sicher nicht richtig gehandelt. Aber statt 10 Jahre Strafe hättest du es bei 7 Jahren belassen können.

 

Kristof Heil: Für uns war auch enttäuschend, dass man, nachdem die Medien das Thema aufgegriffen hatten, den Eindruck hatte, alle Homosexuelle seien abgetaucht. Dabei wäre doch die Gelegenheit günstig gewesen, jetzt Flagge zu zeigen. Die nicht-vorhandene Präsens anderer Homosexueller oder homosexueller Paare hängt damit zusammen, dass viele auch heute noch Nachteile bei der Arbeit und im privaten Umfeld befürchten, wenn sie sich zu ihre Homosexualität bekennen.

 

Jürgen Erbach: Bei einem Paar, das seit 20 Jahren zusammenlebt, ist jedem klar, dass in einer solchen Beziehung die gemeinsam gelebte Sexualität nicht  das Hauptmotiv des Zusammenlebens ist. Das bringt das Thema Segnung Homosexueller auf eine neutrale Ebene, auf die es hin gehört. Diejenigen, die damit polemisieren wollen, haben keine Chance. Wir sind dann auch nicht abgetaucht, wir haben auch nicht die Medien gesucht, aber diejenigen, die bei uns anfragten, denen haben wir Antwort gegeben. Das ist die Verantwortung, der wir uns gestellt haben, um für mehr Toleranz zu werben für unsere Lebensform oder auch andere Lebensformen oder für Menschen, die aus welchen Gründen auch immer anders sind. Das war das, was Kristof mit „Flagge zeigen“, meinte.

 

Joachim Schaefer: Apropos Flagge. Unmittelbar nach den ersten Berichten meldete sich Volker Beck von den Grünen mit einer Stellungnahme zu Wort. Auch der Schwulenverband von der LSU (Lesben und Schwule in der Union) und der LSVD  (Lesben- und Schwulenverband in Deutschland) gaben Stellungnahmen ab. Am Ende doch viele Solidariätsadressen?

 

 

 

Jürgen Erbach: Das ist richtig. Es gab eine große mediale Aufmerksamkeit. Eine Nachricht, nachdem die Presse die Abberufung aufgegriffen hatte, war aber auch, wer sich nicht zu Wort gemeldet hatte. Wir hatten Vertreter aller Parteien mit denen ich zwangsläufig im Zusammenhang mit dem Optikparcours zu tun habe, eingeladen. Diejenigen, die nicht am 15.08. teilnehmen konnten wie die Landtagsabgeordneten Hans-Jürgen Irmer von der CDU oder Elke Künholz von der SPD, um zwei Namen zu nennen, haben die Gelegenheit genutzt, uns in persönlichen Briefen alles Gute zu wünschen. Im Übrigen haben die Parteien – außer den Grünen – keine Presseerklärung herausgegeben.

 

Joachim Schaefer: Aber gesellschaftlich ist Homosexualität doch kein Problem mehr?

 

Jürgen Erbach: Diese Einschätzung hatten viele. Aber mit der Abberufung von Peter Kollas und der Diskussion danach, offenbarte sich, dass da doch noch viel vor uns liegt, was einer gesellschaftlichen Diskussion bedarf. Das positive zuerst: In der „Wetzlarer Neue Zeitung“ wurden wochenlang Leserbriefe abgedruckt. 3 von 4 Leserbriefen kommentierten die Haltung der katholischen Kirche irritiert. Das trifft wohl auch für die Briefe, die der Bischof zugesandt bekam, zu.

 

Kristof Heil: Was die Kirche betrifft – und die evangelische Kirche muss ausdrücklich einbezogen werden - zeigt sich, dass immer mehr liberale und weltoffene Christen die Kirche verlassen haben. Zurück geblieben sind Traditionalisten. Das wird von höchster Stelle verstärkt. Papst Benedikt hat in Lourdes dem sogenannten „Homo-Segen“ eine klare Abfuhr erteilt. Die Haltung der Kirche zu dem sogenannten „Homo-Segen“ zeigt, Kirche - in diesem Fall die katholische Kirche – ist nicht in der Realität angekommen. Wenn sich der Papst gegen die Verwendung von Kondomen ausspricht, dann scheint er nicht zur Kenntnis genommen zu haben, dass es in diesem Beispiel nicht nur um Verhütung geht, sondern auch um Schutz vor der Übertragung von Krankheiten wie Aids in Afrika.

 

Jürgen Erbach: Von keinem Gemeindemitglied verlangt man, dass es in der Form, wie wir es vor laufender Kamera des Hessischen Rundfunks „horizonte“ getan haben, sich zum Glauben, aber auch zur gemeinsamen 20-jährigen Lebenspartnerschaft zu bekennt. Nicht, dass das missverstanden wird, wir haben es gerne getan – aber ungewöhnlich ist es schon.

 

Joachim Schaefer: In der Tat, das Bekenntnis zu Gott, dem Heiligen Geist und Jesus Christus und den christlichen Werten der Gemeinschaft und der Nächstenliebe, aber auch zum Lebenspartner war klar und deutlich. - Wie geht es jetzt weiter?

 

Kristof Heil: Die offizielle katholische Kirche hat sich klar positioniert. Mit diesem Papst und seinen „Beamten“ vor Ort – so haben katholische Pfarrer- den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst bezeichnet- wird es keine Öffnung geben.

 

Jürgen Erbach: Hinter der Kulisse brodelt es. Allein schon deshalb, weil viele kirchliche Mitarbeiter aus persönlicher Betroffenheit an der Klärung des Themas Homosexualität interessiert sind. Viele Pfarrer sind als Seelsorger gefordert. Wie soll denn ein Pfarrer auf homosexuelle Christen zugehen, die um seelsorgerische Begleitung bitten?

 

Kristof Heil: Homosexuelle Christen sind nicht krank. Homosexualität ist keine Krankheit, die man mit Pillen oder Therapie zu Leibe rücken kann. Nach humanwissenschaftlichen Erkenntnissen ist Homosexualität keine Disposition. Homosexuelle haben nicht die Wahl, so wie man einen Schalter umlegt und dann ist man heterosexuell. Jeder der mit homosexuellen Menschen zu tun hat, weiß das. Wenn es anders wäre, dann gäbe es keine Homosexualität. Zweifelsfrei ist heterosexuelles Leben mit weniger Problemen verbunden. Keiner von uns sehnt sich danach, sich immer erst einmal verstecken zu müssen und seine Gefühle zu verbergen. Wenn Jürgen nach langer Zeit von der Hochschule zurück kommt und ich ihn am Bahnhof abhole, dann will ich ihn küssen und tue es auch – so wie dies auch heterosexuelle Pärchen ganz selbstverständlich tun.

 

Jürgen Erbach: Es gibt die Gläubigen, die Gemeinde. Das sollte identisch mit der Kirche sein, ist es aber nicht mehr. Die gläubigen Gemeindemitglieder sind im Gegensatz zur Kirche mehrheitlich aufgeschlossen.

 

Joachim Schaefer: Ist es wirklich so, dass sich viele gläubige Homosexuelle engagieren? Wird das Bild der Homosexuellen nicht sehr stark bestimmt, von schrillen, jodelnden Männern bei der Loveparade oder dem Christopher Street Day die auf „normale“ Bürgerinnen und Bürger abstoßend wirken müssen?

 

Jürgen Erbach: Natürlich ist das so, wie Kristof das eben gesagt hat. Homosexuelle laufen nicht mit einem Schild auf der Brust herum, dass sie schwul sind. Viele Homosexuelle werden nicht als solche in der Gesellschaft wahrgenommen. Das ist tatsächlich gut so. Viele Homosexuelle empfinden sich heute aber immer noch in ihrem „anders sein“ in der Gesellschaft ausgeschlossen. Dies wollen sie häufig dadurch kompensieren, indem sie sich besonders gesellschaftlich engagieren. Die Tatsache, dass sie keine Kinder haben, was sich viele Homosexuelle allerdings wünschen, führt positiv auch dazu, dass sie Zeit haben, sich in besonderer Weise in Gesellschaft und Kirche zu engagieren. Viele Homosexuelle sind in Berufen tätig, in denen sie mit Menschen umgehen und deren Leistung auf besondere Art und Weise gefordert wird. – Gott hat als Schöpfer der Welt keinen Fehler gemacht als er auch homosexuelle Menschen als Ausdruck einer vielfältigen Schöpfung zugelassen hat. Homosexuelle Menschen leisten ihren Beitrag in Kirche und Gesellschaft und bereichern diese.

 

Joachim Schaefer: Während die katholische Kirche homosexuellen Menschen den Segen versagt, geht sie mit Segenshandlungen sonst eher progressiv um?

 

Jürgen Erbach: Das ist so. Da werden alle möglichen toten Gegenstände von Krankenwagen, was man noch nachvollziehen mag, aber auch Panzer oder anderes Kriegswerkzeug bis hin –wie wir über Medien erfahren haben- Gartenzwerge gesegnet. Das ist aus unserer Sicht, wo wir auch Geschöpfe Gottes und Gottes Kinder sind in keiner Weise hinnehmbar und letztlich menschenverachtend. In diesem Zusammenhang muss sich die katholische Kirche auch noch einmal an ihre sonderbare Rolle gegenüber Homosexuellen im Dritten Reich erinnern lassen. Ein Zeichen der Versöhnung mit den Homosexuellen, die von den Nazis in die Gaskammern geführt wurden, ist längst überfällig.

 

Kristof Heil: Viele Gemeindemitglieder wären erstaunt, wie leer es würde, wenn Kirche verlangt, dass alle gläubigen homosexuellen Christen vor Erteilung des Schlusssegens die Kirche verlassen müssen. Wir sind keine Katakombenchristen wie die Christen im Römischen Reich, die sich verstecken mussten, um ihren Glauben leben zu können. Wir wollen auch als homosexuelle Gläubige und Christen wahr genommen und in die Gemeinde aufgenommen werden. Schon daran kann man sehen, wie paradox die Haltung der offiziellen Kirche zu diesem Thema ist.

 

Joachim Schaefer: Muss das nicht für viele sehr befremdlich gewesen sein, dass da plötzlich am Altar zwei Männer sitzen, die sich und ihre Beziehung segnen lassen?

 

Kristof Heil: Unsere Gäste kennen uns seit langem und erleben die „Natürlichkeit“ unserer Beziehung. Die homosexuelle Beziehung unterscheidet sich ja auch nicht grundlegend von einer heterosexuellen Beziehung. Da gibt es auch die gleichen Probleme und Problemchen, die es immer dann gibt, wenn zwei Menschen sich entscheiden eng und über einen langen Zeitraum miteinander zusammen zu leben. Erstaunlich war aber, dass wohl zwei oder drei Damen im Gottesdienst waren, die nicht zu unseren Gästen gehörten, die also zufällig in diesem Gottesdienst gekommen sind -und so berichteten unsere daneben sitzenden Gäste- sich zunächst schon gewundert haben über das, was da vorne am Altar passierte. Und auch anfänglich die Nase gerümpft haben, dass da zwei Männer vor dem Altar saßen. Mein Bruder berichtete von einer anfänglich skeptischen Gottesdienstbesucherin, die nicht zu unseren Gästen gehörte, die dann, als der Gottesdienst zu Ende war, mit einem strahlenden Lächeln den Dom verlassen hat.

 

Joachim Schaefer: Was würden Sie anderen homosexuellen Paaren, die den Segen der Kirche erbitten, nach dieser Erfahrung raten?

 

Kristof Heil: Das ist eine schwere Frage. Wir sind blauäugig an die Sache herangegangen und dann haben sich die Ereignisse so entwickelt, wie sie sich entwickelt haben. Am Ende ist ein für uns sehr gutes Ergebnis herausgekommen. Die Menschen haben über die Integration von homosexuellen Christen in Kirche und Gesellschaft diskutiert. Das ist ein Meilenstein. Dabei spielte aber sicher nach der Abberufung von Peter Kollas das hohe Ansehen von Peter Kollas als Pfarrer und Seelsorger und unsere exponierte Stellung in Wetzlar eine Rolle. Wir hatten es gar nicht auf Öffentlichkeit jenseits unseres sicher großen Bekanntenkreises angelegt. Der Gottesdienst, der Segen, ist in diesem Moment, wo er stattfindet und erteilt wird eine ganz persönliche Begegnung mit Gott, wo man nicht wahrnimmt, ob nun 10 oder 100 Menschen dabei sind, und einem im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken stärken. Ich denke, dass jedes homosexuelle Paar vor seinem Lebenshintergrund die gesellschaftliche und kirchliche Begleitung suchen sollte, die den beiden, um die es in ihrer Gemeinschaft zu Gott geht, am besten entspricht. Das war bei uns mit vielen Hochschulkollegen und Studenten und vielen Bekannten ein etwas größerer Rahmen, bei anderen wird es ein kleinerer Kreis sein. Wir halten es aber für wichtig, dass man sich nicht versteckt, sondern mit seiner homosexuellen Lebensnormalität um die Toleranz von Kirche und Gesellschaft wirbt. Das kann auch heißen, dass man auch für seine Ideale kämpfen muss, ohne gleich mit dem Kopf durch die Wand gehen zu wollen. Hätte der Limburger Bischof die Segnung vor dem Gottesdienst verboten, hätte sie nicht stattgefunden.

 

Joachim Schaefer: Die anwesenden Gäste sprachen von einem beeindruckenden Zeichen für Toleranz und Menschlichkeit, das von Wetzlar ausging. Welche Resonanz auf den Segnungsgottesdienst haben Sie erhalten? Was haben homosexuelle Gäste gesagt?

 

Kristof Heil: Das stimmt. Von Wetzlar ging ein starkes Zeichen der Toleranz aus. Wetzlar ist eine Stadt der Vielfalt und der Toleranz. Vom Limburger Bischof ging ein gegenteiliges Zeichen aus. Das ist schade. Es wirft die Katholische Kirche um Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte zurück. Die offizielle Kirche entfernt sich immer mehr durch solche auch demonstrative Abstrafungen von der Gemeinde. Gemeinde ist aber das Fundament der christlichen Gemeinschaft und damit der Kirche. Es bedarf Anstößen zur Neuorientierung. Diese Chance hat Bischof Tebartz-van Elst nicht genutzt.

 

Jürgen Erbach: Unsere homosexuellen Gäste haben es positiv aufgenommen, dass wir – so wie bei älteren Geschwistern – eine Schneise geschlagen habe. Durch diese Schneise lässt es sich jetzt für andere Homosexuelle Christen bequemer gehen, auch wenn erst einmal die Katholische Kirche die Schleusen zu dieser Schneise zugemacht hat. Der Druck ist zu groß um die Schleusen dicht zu halten. – Auch die Mauer ist gefallen, manchmal dauert es etwas Zeit, aber die Katholische Kirche kann nicht an der Lebensrealität vorbei.

 

Joachim Schaefer: Vielen Dank für das aufgeschlossene Gespräch.