Brachiale Umsetzung des deutsch-syrischen Abschiebungsabkommen
Geschrieben von jnwwebmaster am August 04 2009 22:24:16

PRESSEINFORMATION vom 4. August 2009                        


Brachiale Umsetzung des deutsch-syrischen Abschiebungsabkommens:

LK Ammerland inhaftiert junge schwangere Kurdin aus Wiefelstede

LK Emsland nimmt Kurden trotz schwerster Traumatisierungen und in Haft

Das deutsch-syrische Rückübernahmeabkommen produziert erste Opfer: Die Landkreise Ammerland und Emsland wollen – offenbar mit der Rückendeckung des niedersächsischen Innenministeriums – kurdische Flüchtlinge nach Syrien abschieben, die schon seit vielen Jahren bei uns leben. Die Brachialgewalt, mit der die Behörden dabei vorgehen und weder vor rechtswidrigen Inhaftierungen noch vor Familientrennungen zurückschrecken, lässt den Atem stocken:

Ø      Im Landkreis Ammerland wurde am 6. Juli 2009 der syrische Familienvater R. in Abschiebungshaft genommen, obwohl keinerlei Hinweise dafür vorlagen, dass der Mann untertauchen würde. Die Ausländerbehörde beabsichtigte, Herrn R. zusammen mit seiner Frau am 16. Juli nach Syrien abzuschieben, während die – mittlerweile volljährigen – Kinder in Deutschland verbleiben sollten. Erst nach acht Tagen Haft räumte die Ausländerbehörde einen „Formfehler“ ein und ließ Herrn R. frei.

Ø      Nur einen Tag später, am 7.Juli 2009, veranlasste die selbe Ausländerbehörde die Inhaftierung der im vierten Monat schwangeren Abta Houran, um ihre Abschiebung nach Syrien durchzusetzen. Abta Houran ist mit ihrem Mann, von dem sie das Kind erwartet, bislang nur religiös verheiratet – eine standesamtliche Heirat scheiterte bislang an den erforderlichen Papieren. Ein rechtmäßiger Aufenthalt wäre jedoch spätestens mit der Geburt des Kindes im nächsten Jahr möglich. Ihr Mann arbeitet und ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Das Innenministerium erklärte bei einer Vorsprache der Unterstützer/innen gestern, das spiele keine Rolle: Frau Houran könne nach einer Befristung der Wiedereinreisesperre und Erstattung der Abschiebungskosten in etwa drei Jahren im Rahmen des Familiennachzugs regulär zu ihrem Mann nach Deutschland einreisen.

Ø      Auch die Ausländerbehörde im Landkreis Emsland geht mit beispielloser Härte gegen einen Flüchtling aus Syrien vor: Der Kurde A. wurde trotz schwerer Traumatisierungen infolge der am eigenen Leib erfahrenen Folterungen in Abschiebungshaft genommen. Drei Fachärzte, darunter auch der Amtsarzt Dr. Wittfood, Psychiater der Abschiebungshaftanstalt Hannover-Langenhagen, haben seine Traumatisierung bescheinigt. Der Landkreis Emsland hat daraufhin ein Gegengutachten bei dem berüchtigten Privatgelehrten Dr. Vogel erstellen lassen, der in allen uns bekannten acht Fällen mit fragwürdigen und fachlich dürftigen Gefälligkeitsbescheinigungen im Auftrag der Ausländerbehörden Abschiebungen zu ermöglichen versuchte. Im Fall des – durch einen Hungerstreik zusätzlich geschwächten – Kurden A. kommt Dr. Vogel nicht umhin festzustellen, dass A. aufgrund seines derzeitigen schlechten Allgemeinzustands gegenwärtig nicht uneingeschränkt reisefähig sei, und rät: „Um das Dilemma zu beheben wird empfohlen, Herrn A. in einem Justizvollzugskrankenhaus fachgerecht behandeln und wieder aufpäppeln zu lassen, was in 4, allenfalls spätestens 6 Wochen durchführbar ist. Danach ist er mit Sicherheit wieder reise- und flugfähig.“

Kommentar:

Das brutale Vorgehen in den beiden Landkreisen ist nicht zuletzt das Ergebnis des Drucks aus dem Innenministerium: Innenminister Schünemann hat wiederholt die Ausländerbehörden aufgefordert, bei Abschiebungen keine Rücksichten auf vorliegende Erkrankungen und Traumata zu nehmen und Flüchtlinge nötigenfalls in Begleitung von Ärzten abzuschieben. Das enthebt die Ausländerbehörden dieser beiden Landkreise, die bereits in der Vergangenheit durch einen besonders rigiden Umgang mit Flüchtlingen negativ aufgefallen sind, nicht ihrer Verantwortung. Andere Landkreise machen vor, dass man auch anders – menschlicher – mit Flüchtlingen umgehen kann.

Auch einen Verzicht auf das Auseinanderreißen von Familien sehen die Vorschriften des niedersächsischen Innenministeriums nicht vor. Die diesbezüglichen Äußerungen des Referatsleiter im Innenministerium zur denkbaren Wiedervereinigung der Familie in drei Jahren verdeutlichen, welchen Stellenwert die Landesregierung dem Schutz der Familie einräumt, wenn es um Flüchtlinge geht.

Erschütternd ist auch, wie leichtfertig Ausländerbehörden und Amtsgerichte mit Abschiebungshaft umgehen. Sie darf nur als äußerstes Mittel verhängt werden, wenn es hinreichend Anhaltspunkte dafür gibt, dass sich jemand der Abschiebung entziehen will. Nach wie vor werden in Niedersachsen systematisch und massenhaft Flüchtlinge rechtswidrig inhaftiert, wie die Vielzahl der erfolgreichen Haftbeschwerden beweist. Dass dann sogar noch Schwangere und psychisch schwer erkrankte Personen inhaftiert werden, stellt den Gipfel der Inhumanität dar.

Schließlich belegen die Fälle, dass die wiederholten Versuche deutscher Politiker, die syrische Diktatur zu einer besseren Kooperation bei der Ausstellung von Abschiebungspapieren zu bewegen, offenbar von Erfolg gekrönt sein könnten: Schäuble hat zuletzt am 22.06.2009 während seines Besuchs in Syrien die schleppende Bearbeitung von Abschiebungswünschen auf der Grundlage des am 3.1.2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rückübernahmeabkommens durch die syrischen Behörden beklagt, die ihrerseits auf eine Intensivierung der polizeilichen Zusammenarbeit drängten (Näheres siehe hier). Vollkommen unbeeindruckt von der Kritik vieler internationale Menschenrechtsorganisationen kollaboriert die Bundesregierung mit den Machthabern des syrischen Willkürregimes, nur um Flüchtlinge abschieben zu können, die bereits seit vielen Jahren bei uns leben. Welche Angst die Betroffenen vor einer Rückkehr nach Syrien haben, verdeutlicht nicht zuletzt der Hungerstreik des in Syrien nachweislich gefolterten Flüchtlings A.

Der Flüchtlingsrat fordert die sofortige Freilassung der schwangeren Frau sowie des traumatisierten Mannes sowie einen Verzicht auf Abschiebungen nach Syrien. Jegliche Kollaboration mit Diktaturen ist zu unterlassen. Es muss für die Flüchtlinge aus Syrien eine humanitäre Lösung mit einer Aufenthaltsperspektive in Deutschland gefunden werden.

Siehe auch Bericht aus der heutigen HAZ unter:

http://www.nds-fluerat.org/aktuelles/yeziden-sind-nicht-mehr-sicher/