Die größte Flüchtlingskatastrophe in der Geschichte der EU
Geschrieben von jnwwebmaster am March 31 2009 18:47:53

 

Die größte Flüchtlingskatastrophe in der Geschichte der EU

 

„Wer Hunderte von Bootsflüchtlingen bei stürmischer See ohne Rettungsboote aufs Meer schickt, ist ein Verbrecher. Aber auch die, die alle Fluchtwege nach Europa um jeden Preis blockieren wollen, machen sich mitschuldig am Tod der Bootsflüchtlinge“, so Karl Kopp, Europareferent von PRO ASYL. „Der hundertfache Tod vor der Küste Libyens ist Resultat einer menschenverachtenden Schlepperindustrie, aber auch einer zynischen, doppelbödigen europäischen Flüchtlingspolitik.“

 

Was muss noch passieren, wie viele weitere Tote muss es noch geben, damit Europa endlich handelt und seine verheerende Abwehrpolitik korrigiert ? Die zynische Reaktion des rechtspopulistischen Innenministers Italiens, Roberto Maroni, auf diese Tragödie: Ab Mitte Mai 2009 werde dieser Fluchtweg durch gemeinsame Grenzpatrouillen mit Libyen dauerhaft geschlossen. Dies ist ein Programm, die Todesrate auf See weiter zu erhöhen.

 

Die Strategie, Ghaddafi als Gendarm für Europa zu instrumentalisieren, nimmt schwerste Menschenrechtsverletzungen - tausendfache Inhaftierungen, Misshandlungen und zahlreiche Vergewaltigungen von Flüchtlingsfrauen - gegenüber Flüchtlingen in Libyen in Kauf.

 

Angesichts der größten Flüchtlingskatastrophe in der Geschichte der Europäischen Union fordert PRO ASYL die Bundesregierung, die EU-Kommission und das Europäische Parlament auf, von den üblichen Ritualen abzusehen und endlich einen Rettungsplan für Bootsflüchtlinge und Schutzsuchende im libyschen Transit vorzulegen.

Alle Versuche von Mitgliedsstaaten und Frontex-Verbänden, Flüchtlingsboote abzudrängen, müssen beendet werden. Avisierte Polizeikooperationen und working agreements von Frontex mit Drittstaaten wie Libyen sind zu stoppen.

 

Die effektivste Form, die boomende Branche der Schlepper und Schleuser zu bekämpfen und Menschenleben zu retten, ist es den gefahrenfreien und legalen Zugang von Schutzsuchenden zu gewähren. Geschützte Einreiseverfahren und humanitäre Visa für Transitflüchtlinge in Libyen nach Europa wären ein erste Geste der Menschlichkeit.

 

gez. Karl Kopp

Europareferent

 

 

 

 

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31.3.2009

Wieder müssen Menschen sterben


Die Informationen, die die Presse erreichen, sind immer noch konfus. Nur langsam lässt sich nachvollziehen, was in den letzten zwei Tagen vor der libyschen Küste passiert sein mag.
Sie sind in Sid Belal Janzur los gefahren, einem Vorort der libyschen Hauptstadt Tripolis.
253 Menschen, unter ihnen viele Ägypter. 30 km vor der libyschen Küste dann das Ende. Das Boot sinkt, 23 Menschen werden gerettet, 21 können nur noch tot geborgen werden.
Ein weiteres Boot mit 365 startet ebenfalls von der libyschen Küste. Das Wetter an dem Wochenende vom 28. auf den 29. März ist schlecht, die See rau. Die Spur verliert sich, das Boot sinkt, niemand wird gerettet, so die Nachrichtenagenturen.
Innerhalb von wenigen Stunden verschwinden knapp 600 Menschen, deren einziges Fehler es war, sich auf den Weg nach Europa zu machen. Ein Europa, das seine Pforten geschlossen hat und gern die Toten in Kauf nimmt.

Neben diesen beiden Schiffen sollen zwei weitere von der libyschen Küste los gefahren sein, doch die libysche Küstenwache, die auf der Suche ist, findet keine Spur von ihnen, vielleicht sind auch sie gesunken.
Ein fünftes Boot konnte aus Seenot gerettet werden. Die italienische Nachrichtenagentur ANSA beschreibt in einem Artikel vom 31.3.2009 diese Rettungsaktion: Sie sind Sonntag gestartet, 350 Menschen. Der Alarm, dass sich das Boot in Seenot befindet, erreicht die Küstenwache am Abend des 28. März. Er geht von einer Ölplattform aus. Der in Neapel gemeldete Schlepper der Plattform "Asso 22" fährt zu den Flüchtlingen. Dann treffen libysche und italienische Küstenwachschiffe ein und bergen gemeinsam die 350 MigrantInnen. Drei libasche Offiziere gehen an Bord des italienischen Küstenwachbootes und leiten dieses mit dem geretteten Boot im Schlepptau nach Tripolis, wo sie am Sonntagnachmittag ankommen. Was weiter mit den Flüchtlingen geschehen ist, ist unklar.

Am Montag, den 30.3.2009, soll ein italienischer Tanker weitere Menschen gerettet haben, aber bisher gibt es keinerlei Meldungen an die italienischen Behörden.
Die Libyer jedenfalls scheinen sich nun in der Seenotrettung zu engagieren, ein neues Bild. Der Freundschaftsvertrag mit Italien zeigt wohl doch Wirkung, zumindest was die Rettung angeht.

Startpunkt dieser Todesfahrten ist jedoch weiterhin Libyen. Am letzten Wochenende erreichten 400 Flüchtlinge die sizilianische Küste in zwei Booten. Das eine strandete in Scoglitti an der Südküste. An Bord 153 Menschen, unter ihnen 29 Frauen. Sie wurden in das Auffanglager nach Pozzallo gebracht, eine Fabrikhalle auf dem Hafengelände. Das zweite Boot mit 249 Menschen an Bord erreichte die Südspitze Siziliens. Es handelt sich hauptsächlich im Eritreer und Somalier, unter ihnen 31 Frauen, davon drei schwanger, und acht Minderjährige. Sie wurden von der Guardia di Finanza, dem Zoll, an Land begleitet. Ein 24jähriger Somali wurde als Schlepper verhaftet.

Am Montag, den 30.3.2009, erreichten 222 Flüchtlinge die Insel Lampedusa. Nun befinden sich erneut über 700 Menschen in dem geschlossenen Lager, die Spannung steigt. Es kam wieder zu einem Ausbruch der Migranten, zwei wurden verhaftet und fünf angezeigt, nachdem die Carabinieri sie wieder eingefangen hatten.
Der Bürgermeister der Insel de Rubéis, beschwerte sich über die umenschliche medizinische Behandlung an der Mole: die Frauen, denen es zum Teil sehr schlecht ging, mussten im Dreck auf der Erde liegen, da es auf Lampedusa nur einen Krankenwagen gibt, der mehrfach hin und her fahren musste. Seit dem Ärzte ohne Grenzen dort keine Erstbehandlung mehr machen dürfen fehlt auch deren Ambulanz. Mario Morcone, Verantwortlicher im Innenministerium für die Abteilung Migration, bezichtigte indess den Bürgermeister als Lügner: es seien vier Ärzte an der Mole gewesen und einen Krankenwagen gebe es schließlich auch.

Wie es nun weitergeht wird sich zeigen. Innenminister Maroni hat versprochen, dass die Anlandungen aufhören, wenn die gemeinsamen Patrouillen Italiens und Libyens vor der libyschen Küste beginnen. Beginn soll nun der 15. Mai 2009 sein. Ziel der Patrouillen ist die Zurückweisung in die Ausgangshäfen. Um diese zu umgehen, werden die Routen noch gefährlicher sein und noch mehr Menschen werden sich, da sie keine andere Wahl haben, in Lebensgefahr begeben. Frage bleibt auch, was eigentlich FRONTEX im Mittelmeer treibt -- ist es möglich, dass Einsätze gefahren werden und die Menschen faktisch "vor den Augen" der Bootsbesatzungen ertrinken?

Judith Gleitze, borderline-europe, 31.3.2009