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„Soziale und politische Alternativen…“

„Soziale und politische Alternativen…“

Rede 24.4.2010 Biblis, Dr. Michael Wilk (AKU-Wiesbaden)






Liebe Anwesende, wir stehen hier heute mit zig tausenden Menschen vor dem ältesten noch laufenden AKW der Republik. Block A wurde 1974 in Betrieb genommen. Block B 1976.

Viele wissen es vielleicht nicht: Es waren noch zwei weitere Blöcke geplant, die jedoch nach heftigen Protesten nicht gebaut wurden.In Biblis stehen nicht nur die ältesten, sondern auch die pannenträchtigsten AKW. 1987 kommt es in Biblis beinahe zum Gau mit dem Risiko einer atomaren Verseuchung der Region. Über 800 meldepflichtige Ereignisse sind seit der Inbetriebnahme zu Verzeichnen.
Und trotzdem betonen wir: Es geht heute nicht nur um Biblis oder Neckarwestheim…
Diese Reaktoren stehen stellvertretend für alle Atomanlagen. Alle sind brandgefährlich, alle gehören stillgelegt und abgeschaltet und zwar sofort.

Und wir werden uns auch nicht mit dem Abschalten von Biblis (was dann trotzdem noch lange weiterstrahlt) zufrieden geben. Es ist durchaus möglich, dass sie uns mit einer oder zwei Abschaltungen befrieden wollen. Aber das läuft nicht. Wir forden die Stilllegung aller Atomanlagen… So wie hier in Biblis sind jetzt gerade gleichzeitig tausende in Krümmel, Brunsbüttel und Ahaus…

Das einzige was an einem Atomkraftwerk sicher ist, ist der Profit der Betreiber. Pro Tag spült ein Akw ca. 1,5 Mill. Euro in die Kassen des Betreibers. Während einige das schnelle Geld machen, bleibt das Risiko für alle. Es entstehen im atomaren Betrieb radioaktive hochgefährliche Substanzen (z.B. Plutonium, HWZ 24 000 J.) die für viele hunderttausend Jahre von der Biosphäre abgeschirmt werden müssen. Pro Jahr entstehen in einem AKW radioaktive Gifte von der 1200 fachen Menge der Hiroshima-Bombe. Die Entsorgung ist völlig unklar.

Auch im so genannten Normalbetrieb sind AKW giftig. Die Leukämierate bei Kleinkindern ist in der Nähe von AKW signifikant erhöht.

Wir stellen fest: Atomkraftwerke sind nicht sicher, sie gehören abgeschaltet, sofort und ohne jeden Kompromiss.

Ich bezeichne den Betrieb von Atomanlagen als Körperverletzung. Eine Körperverletzung die staatlich bewacht, gefördert und gesetzlich abgesichert ist. Wer atomare Gifte produziert, die Risiken kleinredet, eine ungeklärte Entsorgung über tausende von Jahren Folgegenerationen aufbürdet- handelt kriminell. Nicht die Menschen, die auf die Straße gehen um diesem Treiben ein Ende zu setzen, nicht die Menschen die in Gorleben die Castoren blockieren und die Strecken lahm legen, sind kriminell und gewalttätig – sondern diejenigen, die die Methode „Profit ohne Skrupel“ staatlich legitimieren und absegnen. Das ist der Unterschied zwischen legal und legitim. In diesem Sinne sind heute auch viele hier die sagen: Nicht nur Protest ist notwendig – sondern auch legitimer praktischer Widerstand.

Protest und Widerstand sind angesichts der momentanen Politik notwendiger denn je.

Laufzeitverlängerungen von 10, 20, bis zu 60 Jahren werden diskutiert und verlängern entsprechend das Gefährdungsdesaster. Längere Laufzeiten bedeuten, noch länger Gefahr und noch viel mehr Atommüll.

Wir versprechen hier von dieser Stelle den politisch Verantwortlichen: Nicht mit uns!

Wir sind heute hier erschienen weil wir wissen : Nur der Druck der Straße ändert die Verhältnisse.

Ich möchte an dieser Stelle für die organisierenden Initiativen sagen: Wir freuen uns über die vielen tausende unterschiedlichsten Menschen die heute hier erschienen sind. Wir sehen auch die vielen Parteifähnchen im Gewimmel. Wir wissen dass viele von euch in den letzten Tagen viel getan haben um das hier zu unterstützen. Das ist prima und wir freuen uns gemeinsam.

Aber viele von uns sind misstrauisch und können sehr wohl unterscheiden zwischen den einfachen Parteimitgliedern und dem was sich Parteispitze nennt.

Wir alle hier wissen, dass der Atomkonsens aus der damaligen Regierungszeit von RotGrün ein fauler Deal war, der uns heute in Verbindung mit dem letzten Regierungswechsel teuer zu stehen kommt. Mit Teilabschaltungen und gedrosselten Strommengen haben die AKW- Betreiber die im Vertrag angelegte Lücke genutzt, um sich an den geplanten Abschaltterminen vorbei, in die jetzige Legislaturperiode zu mogeln. Die Kritik an einer Politik der Kungelei mit den Energiekonzernen, die wir damals äußerten, hat sich übel bewahrheitet. Dies hat uns noch misstrauischer gemacht.

Es ist großartig wie viele wir heute sind und in der Vielfalt liegt auch unsere Kraft. Aber wir haben nicht vergessen, dass in einer Pressemitteilung des deutschen Atomforums von 2004 das "Engagement" der rot-grünen Bundesregierung bei der Umsetzung des Atomkonsenses gelobt wurde. So laufe der Betrieb der Kernkraftwerke im Großen und Ganzen "frei von politischen Störungen". Dies gelte "insbesondere für die Gewährleistung der Entsorgung der abgebrannten Brennelemente aus den Kernkraftwerken". Eine Verstopfung der Kernkraftwerke infolge nicht abtransportierter abgebrannter Brennelemente sei "nicht mehr zu befürchten". Besonders gelobt wurde damals ein gewisser Umweltminister Trittin unter dessen Engagement Zwischenlager an den einzelnen AKW durchgesetzt wurden.

Wir sind nicht ohne Grund misstrauisch gegenüber Parteien und Politikern, deren Inhalte und Strategien sich stets am Machterhalt und Legislaturperioden orientieren –und nicht an dem was einfach richtig ist. Macht korrumpiert- viel Macht korrumpiert viel! Aus diesem Grund haben die aufrufenden Initiativen und Verbände, für die Aktion hier in Biblis konsequent festgelegt, Parteien keine Bühne zu bieten. Aus Fehlern lernen heißt, dass wir uns nicht mehr auf andere verlassen, sondern nur noch auf uns. Die große Menge der Anwesenden zeigt, wie viele Menschen wieder bereit sind auf die Straße zu gehen, aktiv zu werden und nicht den Parlamenten das Feld zu überlassen. Wir wollen keine faulen Kompromisse mehr, kein Laufzeitgekungel, es gibt nur eines – und wir werden euch die Hölle heiß machen- abschalten und zwar sofort.

Wir, die wir hier stehen, haben Kraft und Energie, Vielfalt und Entschlossenheit…

Wir haben viel mehr Energie und Power als die da in ihrem AKW jemals erzeugen können.

Wir als soziale und ökologische Bewegung sind die Schrittmacher in Sachen gesellschaftlicher Perspektive. Wir richten uns nicht nach den Fünf Jahres Maximen der Legislaturperioden und nach politisch ökonomischer Tagespragmatik… Wir sagen auch nicht nur was Recht ist sondern was wir für richtig halten.

Es geht in diesem Sinne nicht nur darum, gegen etwas zu sein, sondern wir sagen wofür wir sind: Abschalten sofort ist notwendig, aber dabei lassen wir es nicht bewenden: Wir arbeiten an einem Umbau der Gesellschaft in der Mensch und Natur zählt und nicht die Ausbeutung, Vernutzung und Profitmaximierung.

Noch länger Atomkraft betreiben, ist auch nach den Maximen des realen Marktes ein Fehler- behindert sie doch den notwendigen weiteren Ausbau regenerativer Energien.

Aber es ist erforderlich noch weiter und radikaler zu fragen: Ein wenig mehr Bioöl im Getriebe dieses Gesellschaftssystems ? Genügt das?

Alle Großkonzerne haben sich inzwischen die Ökologie auf die Fahnen geschrieben. Sie, die sie uns jahrelang als fortschrittsfeindlich bezeichneten, haben von uns gelernt. Siemens, RWE, die Autoindustrie- alle, selbst einige der konservativsten Vertreter des Kapitalismus schwärmen von ÖKO. Ich warte darauf, dass Krauss- Maffei den ersten ökologischen Kampfpanzer baut, der dann ebenfalls ökologisch sauber, mit Absegnung der deutschen Parteien, nachhaltig deutsche Interessen am Hindukusch oder sonst wo verteidigt.

Nicht nur ökologisch ambitionierte Politiker, sondern auch Wirtschaftsbosse diskutieren die Idee des „Green New Deal“ und die Möglichkeit mit „öko“ aus der ökonomischen Krise zu kommen. Sie beklagen, dass zuwenig Milliarden, die auf unser aller Kosten in die durch die Banken verursachte Krise gepumpt werden, ökologisch eingesetzt werden. Und schon wieder reden sie von Profitmaximierung und Umsatzsteigerung, von „höher, schneller, weiter“ und Wachstum. Aber alles mit Ökosiegel…

Das ist nicht das, was wir unter ökologisch und sozial verstehen.

Ökologie wie wir sie verstehen, bricht mit den Maximen eines ungezügelten Wachstums.

Ebenso ist Ökologie keine deutsche und keine europäische Angelegenheit.

Wir sehen den Widerstand gegen die menschenverachtenden Projekte der Energiekonzerne und gegen die Strategie der gefälligen Politiker nicht losgelöst von der sozialen Wirklichkeit. Es geht letztlich nicht nur um Ökologie. Es geht auch darum, ob sich Herrschaftsstrategien in diesem Land, in Europa, ja weltweit durchsetzen lassen. So wie die Profite der einen steigen, so verelenden andere Teile der Gesellschaft, Giftmüll der Industrienationen wird den Ärmsten der Welt vor die Füße gekippt, Armut und Hunger interessieren nicht solange die Waren und Kapitalströme in die richtigen Taschen fließen. Die Arroganz der Macht zeigt sich in vielen Facetten. Wir müssen und werden die Zusammenhänge sehen und wir begreifen uns deshalb auch als eine soziale Bewegung die Nein sagt zu Entmündigung und Ausbeutung.

Wir sind heute hier, und im Herbst in Gorleben… Wir werden überall da sein wo sie uns nicht haben wollen.

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