Startseite · Artikel · HessenCam · Weg der Erinnerung · Adventskalender · WebLinks · MySpace · YouTube · Twitter · Heimatlos · Ramadankalender · Über uns...
Navigation
Startseite
Artikel
HessenCam
Weg der Erinnerung
Adventskalender
Downloads
Diskussionsforum
WebLinks
MySpace
YouTube
Twitter
Schulen in die Innenstadt
OnlineRadios
Heimatlos
FAQ
Suche
Ramadankalender
Kontakt
Über uns...
Benutzer Online
Gäste Online: 1
Keine Mitglieder Online

Registrierte Mitglieder: 616
Neustes Mitglied: bookytutboype
Forum Themen
Neuste Themen
adipex p without pre...
DJ-Workshop und Kurs...
Soziales Engagement ...
Neue Geschäfte
Das Jugendnetz Wetzlar
Heißeste Themen
Nix los.. [6]
Das Jugendnetz We... [4]
Neue Geschäfte [3]
Tanz-kultur pres:... [3]
Schule in die Inn... [2]
grenzenlos 27. 03. 2007
Heute:                                                                                                      27. 03. 2007 


  • Flüchtlinge hungerten im Container
  • "Es gibt keine Alternative zum Zusammenleben" - Der grüne EU-Parla­mentarier Cem Özdemir im derStandard.at- Interview über binationale Ehen, "Multikulti"- Romantik und MigrantInnen als Wählerpotenzial

  • Hintergrund: Komitee Cap Anamur - Von den vietnamesischen Boat People bis zur Rettungsaktion im Mittelmeer

  • Schlepper werfen Hunderte Flüchtlinge ins Meer
  • Vollversammlung verlangt Ende jeder Art von Menschenhandel - Gedenkfeier zum 200. Jahrestag des Verbots des transatlantischen Sklavenhandels - Zwölf Millionen Menschen zu Arbeit ohne Bezahlung oder Prostitution gezwungen

  • EU warnt vor neuer Sklaverei

  • Ilisu-Staudamm: Deutsche Regierung bewilligt Exportbürgschaft

  • Staudammprojekt Ilisu von Österreich abgesegnet - Kredithaftung über 285 Mio. Euro durch OeKB für Andritz/VA Tech zugesagt - Grüne: "Ein klarer Fehler"

  • Nachhilfe für Väter - Rollenbild in der Türkei im Wandel
  • Aus meiner Kladde: Lazarus – Eine Osterlegende

***************************

 

Redaktioneller Hinweis:

Die NKA Nachrichten müssen ab heute erst mal das Erscheinen einstellen, da wir ab morgen (räumlich) keinen Standort haben, von dem aus die Nachrichtenarbeit fortgeführt werden kann. Die Interimslösung der letzten Zeit muss aufgrund geänderter Dienstpläne der Quartiergeberinnen des Friedensbüros beendet werden.

Versuche, wieder einen eigenen Standort zu gewinnen, sind bisher gescheitert, zum Teil wurden entsprechende Anfragen gar nicht beantwortet. Das ermutigt nur bedingt. Aber wir suchen weiter und werden, sobald es geht, wieder ‚auf Sendung gehen’.

Das Problem ist mit, dass die Arbeit ehrenamtlich geleistet wird von Leuten, die von Hartz IV ‚leben’, somit keine Kosten, wie Miete oder so, getragen werden können. Hilfen, auch vernünftige Ideen sind jederzeit herzlich willkommen.


 

 

Quelle: Westfälische Rundschau  26.03.2007   

 

Flüchtlinge hungerten im Container

 

Antwerpen/Halver. Es hatte eine angenehme Reise werden sollen - unterwegs mit einem Frachtschiff nach Marokko. Doch es kam für den Halveraner Thilo Kortmann anders. An Bord der MS "Conger" wurden Flüchtlinge aus Marokko entdeckt. Kortmann notiert:

Von Thilo Kortmann

Der polnische Kapitän Wojtkov erklärte nüchtern und trocken: "Es gibt da ein Problem. Leider muss sich unsere Abreise um einige Zeit verzögern, da heute Nachmittag acht marokkanische Flüchtlinge in einem unserer Container gefunden worden sind." Die hätten sich in Casablanca dort versteckt. Das sei nicht seine Schuld, man könne ja schliesslich nicht jeden Container in Casablanca kontrollieren. Das Flüchtlings-Problem trete gerade in europäischen Häfen häufig auf, fügte Wojtkov hinzu.

Während ich schlief hatte sich auf der "Conger" ein Flüchtlingsdrama abgespielt. Polizei, Sanitäter und das Fernsehen seien auf dem Schiff gewesen, so der Kapitän. Am Abend verfolgte ich gespannt das belgische Fernsehen und Radio. "Acht marokkanische Flüchtlinge wurden in einem Container gefunden. Der Gesundheitszustand der acht Menschen ist labil. Sie sind in ein Krankenhaus gebracht worden. Die Polizei vermutet weitere Flüchtlinge in den Containern", so der Nachrichtensprecher des belgischen Senders "Canvas".

Sechs Tage lang hätten die acht Menschen bei extrem stürmischer See ohne Nahrung und mit nur sehr wenig Sauerstoff in einem stockdüsteren Container verbracht, so der Nachrichtensprecher weiter.

Mit Infrarot durchleuchtet

Täglich würden z. B. Flugzeuge Tausende von Flüchtlinge zurück in ihre afrikanischen Heimatländer bringen. Gerade die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta hätten momentan ein extremes Flüchtlingsproblem.

Von nun an konnte ich hautnah mitverfolgen, wie die belgische Polizei in solchen Fällen operiert.

Zwei Spezialwagen durchleuchteten jeden einzelnen Container per Infrarotstrahlen. Eine Aktion für eine ganze Nacht.

"Die Polizei muss jetzt allen Spuren nach gehen. Bis sich die Situation nicht gänzlich aufgeklärt hat können wir nicht starten", so der Kapitän.

In der Hafen-Schleuse dann die nächste Überraschung. Zwei der marokkanischen Flüchtlinge wurden in Handschellen auf das Schiff gebracht.

In Begleitung zweier in schwarzen Anzügen gekleideter , aus England stammender Flüchtlings-Experten und der belgischen Polizei wurden sie in einem Raum unter Deck verfrachtet. Die Experten sollten sich bis Le Havre um die beiden Marokkaner kümmern. Das bedeutete unter anderem: zusammen an Handschellen gekettet für eine halbe Stunde am Tag an Deck um Luft zu schnappen. In Frankreich durften die Experten die Conger verlassen.

"Ab Le Havre ist das Schiff sechs Tage lang ununterbrochen auf offener See. Also besteht keine Möglichkeit mehr zu flüchten und somit sind die Experten überflüssig", erklärte Kapitän Wojtkov.

Kapitän: Keine Sorgen machen

Ich solle mir aber keine Sorgen machen, da ich die beiden Marokkaner nicht zu Gesicht bekommen würde.

In sechs Tagen mit einem Frachtschiff von Antwerpen, mit kurzem Zwischenstopp in Le Havre nach Casablanca. Und nach 14 Tagen Aufenthalt in Marokko wieder mit dem selben Schiff zurück. So war es eigentlich geplant.

 

Quelle: derStandard.at 27. März 2007 11:09 MESZ

 

"Es gibt keine Alternative zum Zusammenleben"

Der grüne EU-Parla­mentarier Cem Özdemir im derStandard.at- Interview über binationale Ehen, "Multikulti"- Romantik und MigrantInnen als Wählerpotenzial

 

 

 

Zur Person: Cem Özdemir ist ein deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen) türkischer Abstammung. Seit 2004 ist er Mitglied des Europäischen Parlaments.

 


 

Özdemir: "Erst jetzt versucht man - zum Beispiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz und Sprachkursen - im Nachhinein gesetzlich zu regeln, was sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland formiert hat."


"Ein Negativbeispiel reicht offenbar, um zu generalisieren", bedauert der deutsche EU-Parlamentarier Cem Özdemir im derStandard.at-Interview die generelle Einstellung der Politik gegenüber binationalen Ehen und MigrantInnen im Allgemeinen.

Die Integrations-Debatte in der Öffentlichkeit ist Özdemir mitunter "zu kulturalistisch". Wer wirklich was bewegen möchte, müsse sich nur um zweierlei kümmern: "Bildungs- und Arbeitsmarkt". Gegen den generellen "Multikulti"-Romantik-Vorwurf an die Grünen wehrt sich der Sohn türkischer Einwanderer: "Mir muss einmal jemand erklären, was denn das Gegenteil von multikultureller Gesellschaft sein soll."

****

derStandard.at: Sie sind ein Sohn türkischer Einwanderer. Welches Zeugnis stellen Sie den Integrationsbemühungen der deutschen Politik aus?

Özdemir: Die deutsche Politik hat es - nicht anders als viele andere neue Einwanderungsländer - lange Zeit versäumt, sich den Realitäten zu stellen. Es wurde ignoriert, dass die Menschen Wurzeln geschlagen haben und im Land bleiben wollten. Von einer Einwanderungspolitik kann man erst seit einigen Jahren sprechen. Erst jetzt versucht man - zum Beispiel mit dem neuen Zuwanderungsgesetz und Sprachkursen - im Nachhinein gesetzlich zu regeln, was sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland formiert hat.

derStandard.at: In Österreich erschwert das neue Fremdenpaket die Zuwanderung. Viel zitiertes Beispiel sind die Erschwernisse für binationale Ehen.

Özdemir: Was die binationalen Ehen angeht, wundere ich mich, dass der Diskurs darüber derzeit sehr negativ ist. Natürlich gibt es das eine oder andere zu Recht kritisierte Negativbeispiel, aber man tut gerade so, als ob alle binationalen Ehen problematisch wären. Diese Ehen sind nicht besser oder schlechter als andere Ehen. Aber man übersieht, dass es sich bei diesen Verbindungen um Brücken zwischen den Kulturen handelt. Die Kinder aus binationalen Familien sprechen im Idealfall mehrere Sprachen und haben eine besondere interkulturelle Kompetenz, genau das, was im Europa von heute so gefragt ist.

Ich selbst bin ein Praktiker einer binationalen Ehe, meine Frau ist Argentinierin, unsere Tochter wächst mindestens zweisprachig auf. Es ist eine Mär, dass Kinder aus zweisprachigen Ehen beide Sprachen zwangsläufig gleich schlecht sprechen. Das hängt eher davon ab, ob die Eltern über den nötigen Bildungshintergrund verfügen, wie gut die Betreuungseinrichtungen sind und ob die Erzieher entsprechend qualifiziert sind.

derStandard.at: Trotzdem stehen bikulturelle Ehen unter Generalverdacht; Zumindest in Österreich ist man weit davon entfernt, das "als Chance zu begreifen".

Özdemir: Ein Negativbeispiel reicht offenbar, um zu generalisieren. Da sind die Österreicher nicht schlimmer als die Deutschen und die Deutschen nicht schlimmer als die Türken. Eine "richtige bikulturelle Ehe" oder ein "richtiger Türke" wird definiert durch die Mehrheitsgesellschaft. Und diese Bilder sind meist Negativbilder. Können denn Menschen türkischer Herkunft, die sich zu einer türkisch-österreichischen Identität bekennen und wohlfühlen etwa keine "richtigen Muslime" sein? Die "richtigen" sind nach Meinung der Anderen offenbar nur die, die ihre Frauen zwangsweise verheiraten oder Ehrenmorde begehen. Man stelle sich vor, Österreicher und Deutsche würden sich ebenfalls auf Basis solcher Extremklischees begegnen. Man sollte überhaupt aufhören, sich als Gruppen in der Gesellschaft zu begegnen. Wir sind zuallererst Individuen.

derStandard.at. Anscheinend wird aber auch die Politik von diesen Klischees geleitet.

Özdemir: Das hängt wohl damit zusammen, dass Politiker auch Wahlen gewinnen wollen und dabei auch gerne mal populistisch werden. Es ist wichtig, dass Politiker auch eine demokratische politische Kultur prägen und deutlich machen, dass es zum Zusammenleben erstens keine Alternative gibt und dass wir von Vielfalt auch profitieren können. Über die Bedingungen des Zusammenlebens kann und muss man natürlich diskutieren. Und man muss sowohl von Rechten als auch von Pflichten sprechen.

Man kommt ja im Regelfall in ein Land, weil man sich bewusst dafür entscheidet. Und da fällt einem kein Zacken aus der Krone, wenn man bekennt, gerne in Österreich zu sein. Genau so wichtig ist es aber, willkommen geheissen zu werden. Trotz aller aussenpolitischen Fehler sind uns die Amerikaner hier um Lichtjahre voraus. Amerikanische Muslime gehören zu den patriotischsten US-Amerikanern, auch weil sie in erster Linie als Amerikaner betrachtet werden, nicht als Muslime. Auch wir brauchen mehr von diesem Republikanismus. Wir müssen uns über unsere Verfassung und die Grundrechte definieren und nicht zuerst nach Ethnie, Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit.

derStandard.at: Ein Plädoyer für die europäische Verfassung und eine europäische Identität?

Özdemir: Absolut. Wir können eine solche Identität nicht erzwingen, aber wir müssen sie fördern. Europa ist schliesslich mehr als eine Freihandelszone. Wir haben ein Wertefundament, das meiner Meinung nach auch in einer Grundrechte-Charta festgehalten werden sollte.

derStandard.at: Werden NeobürgerInnen als Wählerpotenzial unterschätzt?

Özdemir: Hier unterscheiden wir uns ebenfalls von den USA. Dort buhlen Republikaner und Demokraten auch um die Stimmen von Latinos und anderen. Ich würde es ausdrücklich begrüssen, wenn auch die CDU/CDU einen Abgeordneten oder Abgeordnete mit Migrationshintergrund hätte. Es ist nämlich ein Irrtum, zu denken, dass diese Menschen nur Mitte Links wählen. Auch die ÖVP scheint völlig zu übersehen, dass ein grosser Teil der Neoösterreicher in vielen Punkten durchaus konservative Vorstellungen haben.

derStandard.at: Den Grünen wird immer wieder "Multikulti"-Romantik und eine zu unrealistische Sichtweise vorgeworfen. Sind die Grünen über das Ziel hinausgeschossen?

Özdemir: Ich und auch andere Parteifreunde haben ganz sicher nicht alles schön geredet. Die Grünen haben hier natürlich ihren Weg hinter sich. Aber dieser Weg ist immer noch ein kurzer, gemessen an der Realitätsverweigerung der CDU. Und ich muss darauf hinweisen: die überwiegende Zeit haben die anderen regiert. Wir haben uns diesem Thema nie verweigert. Zur Multikulti-Romantik: Mir muss einmal jemand erklären, was denn das Gegenteil von multikultureller Gesellschaft sein soll. Wollen wir zurück in die 50er Jahre, wo man als Alleinerzieherin schief angeschaut wurde, wo Ehen zwischen Katholiken und Protestanten schon quasi eine bikulturelle Ehe war? Das will doch niemand ernsthaft. Bei allen Fehlentwicklungen: wir sind auf einem guten Weg.

derStandard.at: Was wären Ihrer Meinung nach die wichtigsten nächsten Schritte auf diesem Weg?

Özdemir: Die Debatte in der Öffentlichkeit ist mitunter viel zu kulturalistisch. Aber wenn ich wirklich was bewegen möchte, dann geht es um zweierlei: Bildungs- und Arbeitsmarkt. Wir müssen den Eltern erklären, wie wichtig in einer hoch komplexen Gesellschaft eine qualifizierte Schulbildung für ihre Kinder ist. Und wir müssen das Schulsystem befähigen, auf die neuen Herausforderungen zu reagieren. Wir müssen viel mehr Wert legen auf frühkindliche Erziehung, insbesondere in den staatlichen Betreuungseinrichtungen. Und wir dürfen die Schüler nicht so früh voneinander trennen wie im dreigliedrigen Schulsystem. Zusammengefasst: Wir brauchen die Kinder früher und länger. Dabei geht es übrigens nicht nur um Migrantenkinder, sondern beispielsweise auch um Kinder aus Arbeiterfamilien.

 (Manuela Honsig-Erlenburg/derStandard.at, 27.3.2007)


 

 

Quelle: derStandard.at. 27. März 2007 13:26 MEZ

 

Hintergrund: Komitee Cap Anamur

Von den vietnamesischen Boat People bis zur Rettungsaktion im Mittelmeer



Die Gründung des deutschen Komitees Cap Anamur geht auf eine Initiative des Journalisten Rupert Neudeck und des Literaturnobelpreisträgers Heinrich Böll zurück. Die heutige Organisation ging 1982 aus dem Hilfskomitee "Ein Schiff für Vietnam" hervor. Mit dem gecharterten Frachtschiff "Cap Anamur" und anderen Schiffen wurden von 1979 bis 1986 mehr als 10.000 vietnamesische Flüchtlinge, die sogenannten "Boat people", aus dem chinesischen Meer geborgen.

In den vergangenen zwanzig Jahren führte die Organisation in zahlreichen Staaten hauptsächlich Projekte an Land durch. Im Frühjahr 2004 wurde erstmals ein Schiff angekauft, das als Flaggschiff der Organisation unterwegs sein sollte und für verschiedene Zwecke eingesetzt hätte werden sollen: Es sollte der Logistik für die Projekte dienen, Hilfsgüter transportieren, mit dem UNHCR zusammen vor allem in Westafrika den Rücktransport von Menschen aus Bürgerkriegsregionen in ihre Heimat bewerkstelligen und auch medizinische Hilfe anbieten.

Wichtiger Hintergrund für den Einsatz des Schiffes waren die kommenden Folgen des Klimawandels. So sollte die Cap Anamur nach Tuvalu fahren, um in einer gemeinsamen Aktion mit Greenpeace auf die Verantwortung der Industriestaaten für die globale Erwärmung hinzuweisen. Bei steigendem Meeresspiegel werden die 11.000 Einwohner der Pazifikinsel Tuvalu zu den ersten Opfern des Klimawandels zählen. Die Kampagne hätte, so der ehemalige Cap Anamur-Leiter Elias Bierdel gegenüber derStandard.at, also der Vernetzung von der ökologischen Betrachtung der Problematik mit der humanitären gedient.

Bei der ersten Fahrt des Schiffes im Juni 2004 rettete die Besatzung 37 afrikanische Schiffbrüchige vor der italienischen Insel Lampedusa. Sowohl Deutschland (das Schiff fuhr unter deutscher Flagge) als auch Italien verweigerten die Aufnahme der Flüchtlinge. Nach wochenlanger Blockade durfte die Cap Anamur dann Porto Empedocle auf Sizilien anlaufen. Der Grossteil der Flüchtlinge wurde von den italienischen Behörden umgehend nach Ghana und Nigeria abgeschoben. Der Vorsitzende der Organisation, Elias Bierdel, der Kapitän Stefan Schmidt und der Erste Offizier Vladimir Daschkewitsch wurden verhaftet, wenige Tage später jedoch wieder freigelassen. Zur Zeit läuft gegen sie in Agrigento auf Sizilien ein Prozess wegen Schlepperei. Das Schiff wurde erst im Februar 2005 von den Behörden wieder freigegeben und in der Folge vom Komitee wieder verkauft. (vos)

­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­

Quelle: SPIEGEL ONLINE - 26. März 2007, 20:41
URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,474004,00.html

JEMEN

Schlepper werfen Hunderte Flüchtlinge ins Meer

Schreckliches Ende einer Flucht vor Gewalt und Armut: Vor der jemenitischen Küste sind vermutlich mindestens 100 Somalier und Äthiopier ums Leben gekommen. Menschenschmuggler hatten die Flüchtlinge, die auf Holzbooten den Golf von Aden überqueren wollten, gezwungen, ins Meer zu springen,

Nairobi - Bislang seien 29 Leichen gefunden worden, 71 Menschen galten heute noch als vermisst, teilte das Uno- Flüchtlingshilfswerk UNHCR mit. Der Vorfall habe sich bereits am letzten Donnerstag ereignet: Als die Menschenschmuggler von jemenitischen Sicherheitsbehörden entdeckt worden seien, hätten sie die insgesamt etwa 450 Flüchtlinge weit von der Küste entfernt genötigt, ins Wasser zu springen. Mehrere hundert Menschen überlebten.

"Wir sind schockiert", sagte Erika Feller vom UNHCR. "Den skrupellosen Schmugglern kümmert es nicht, was aus den Menschen wird, die sie zuvor ausbeuten". Mit der Katastrophe sei die Zahl der Toten und Vermissten im Golf von Aden in diesem Jahr auf 262 gestiegen.

Die Schlepper hätten die Flüchtlinge, die in insgesamt vier Booten die Überfahrt in den Jemen versuchten, mit Messern bedroht. Einige, die sich geweigert hätten ins Meer zu springen, seien mit Holz- und Eisenstangen zu Tode geprügelt worden. Mehrere Flüchtlingsfrauen seien von den Schleppern vergewaltigt worden.

Nach Angaben des UNHCR haben im vergangenen Jahr mindestens 26. 000 Flüchtlinge die Meerenge zwischen Somalia und Jemen überquert. Die meisten der Flüchtlingen sind Somalis, die den Bürgerkrieg und die Anarchie in ihrer Heimat hinter sich lassen wollen.

anr/dpa/AP

 

 

Quelle: derStandard.at 26. März 2007 21:03 MESZ

 

Vollversammlung verlangt Ende jeder Art von Menschenhandel

Gedenkfeier zum 200. Jahrestag des Verbots des transatlantischen Sklavenhandels - Zwölf Millionen Menschen zu Arbeit ohne Bezahlung oder Prostitution gezwungen

 

 

Zum Thema
Briten gedenken Ende der Sklaverei 

Foto: REUTERS/Finbarr O'Reilly

 

New York - Die UNO-Vollversammlung hat dazu aufgerufen, mit jeder Art von Menschenhandel Schluss zu machen. Bei einer Gedenkfeier zum 200. Jahrestag des Verbots des transatlantischen Sklavenhandels durch Grossbritannien bedauerte die stellvertretende UNO-Generalsekretärin Asha-Rose Migiro, dass "Millionen von Menschen weltweit auch heute noch ihrer Freiheit und fundamentalsten Menschenrechte beraubt" würden.

Der US-Diplomat Richard Terrell Miller empörte sich am Montag bei der Veranstaltung in New York darüber, dass auch im Jahr 2007 noch mehr als zwölf Millionen Menschen zur Prostitution oder zur unentgeltlichen Arbeit gezwungen würden. Die Vereinten Nationen schätzen, dass weitere 300.000 Minderjährige als Kindersoldaten im erzwungenen Waffendienst stehen. (APA/dpa)

Quelle: taz Nr. 8236 vom 27.3.2007

EU warnt vor neuer Sklaverei

BRÜSSEL epd Anlässlich des 200. Jahrestages der Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels hat die EU vor modernen Formen der Sklaverei gewarnt. Es dürfe keine Gleichgültigkeit geben, so die deutsche EU-Präsidentschaft gestern. Zu den modernen Ausprägungen gehörten der Menschenhandel und die Zwangsarbeit. Sie breiteten sich in vielen Teilen der Welt weiter aus. Die moderne Sklaverei sei ein rapide wachsendes Geschäft, "bei dem auf Kosten von Millionen von Opfern Milliarden von Dollar verdient werden", hiess es im Namen der 27 EU-Staaten.

 

Quelle: ZISCH Zentralschweiz online 26.03.2007 22:37

 

 

Ilisu-Staudamm: Deutsche Regierung bewilligt Exportbürgschaft

 

BERLIN - Ungeachtet heftiger Kritik von Umweltschützern hat die Regierung in Berlin für die Gewährung von staatlichen Exportkreditgarantien eine Bürgschaft für den deutschen Anteil am geplanten Wasserkraftwerk Ilisu in der Türkei bewilligt.

Den Ausschlag habe die Verbesserung des umstrittenen Projekts gegeben, erklärte das Wirtschaftsministerium in Berlin. Die Türkei habe sich nach intensiven Verhandlungen mit Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie einem internationalen Baukonsortium verpflichtet, weit über die bisher bei Staudammbauten eingehaltenen Kriterien hinaus zu gehen.

Dazu gehöre unter anderem, dass die durch den Stausee bedrohten wichtigsten Kulturgüter in einen neu geschaffenen Kulturpark versetzt und erhalten würden.

In Österreich, der Schweiz und Deutschland seien Exportkreditgarantien für Lieferungen und Leistungen in Höhe von rund 450 Millionen Euro beantragt, hiess es auf Berlin.

Der Bundesrat hatte nach Angaben von Mitte Februar eine grundsätzliche Zusage für die Exportrisikoversicherung für Generatorenlieferungen in der Höhe von 115 Millionen Franken an Alstom Schweiz abgegeben.

Der Gesamtauftragswert belaufe sich auf rund 1,2 Milliarden Euro, hiess es in Berlin weiter. Die Regierung decke einen Anteil von 93,5 Millionen Euro etwa für den Bau von Umleitungstunneln.

Für die Umsiedlung der in dieser Region lebenden Bevölkerung sowie den Schutz von Kulturgütern und Umwelt setze die Türkei weitere 800 Millionen Euro ein. Insgesamt würden damit Baukosten von rund zwei Milliarden Euro veranschlagt.

Der 135 Meter hohe und 1820 Meter lange Ilisu-Staudamm und das Wasserkraftwerk werden am Tigris rund 65 Kilometer flussaufwärts der syrisch-türkischen Grenze entstehen. Sechs Turbinen und Generatoren sollen jährlich mehr als 3800 Gigawattstunden Strom erzeugen.

sda

 


Quelle: derStandard.at
26. März 2007 18:30 MESZ

Staudammprojekt Ilisu von Österreich abgesegnet

Kredithaftung über 285 Mio. Euro durch OeKB für Andritz/VA Tech zugesagt - Grüne: "Ein klarer Fehler"

 

Wien - Für das in der Kritik stehende türkische Staudamm-Projekt Ilisu wird Österreich eine Haftungsübernahme über 285 Mio. Euro übernehmen. Das teilte die Oesterreichische Kontrollbank (OeKB) am Montag Nachmittag mit. Die Exportkreditdeckung gilt für Lieferungen von Turbinen und elektromechanischer Ausrüstung, im wesentlichen für die Firma Andritz/VA Tech. Auch in Deutschland liegt nunmehr eine endgültige positive Entscheidung vor. Die positive Schweizer Zusage wird in den nächsten Tagen erwartet.

Das österreichische Unternehmen Andritz ist Konsortiumsführer des Projekts, an dem drei Länder - Österreich, Deutschland, Schweiz - beteiligt sind. Das Projektvolumen der Österreicher beträgt 230 Mio. Euro. Die OeKB hat gemeinsam mit den beteiligten Exportkreditagenturen Euler-Hermes (Deutschland) und SERV (Schweiz) insgesamt rund 150 Auflagen zu Umwelt, Umsiedlungen, Kulturgüter und Anrainerstaaten erteilt, die von den Projekt-Betreibern erfüllt werden müssen.

Davon mussten 30 vorab erfüllt werden, um die Zusicherung für die Finanzierung zu erhalten. Dies scheint jetzt erfolgt zu sein. Vor allem an den Umsiedlungsplänen für die betroffene vorrangig kurdische Bevölkerung und gegenüber den Nachbarstaaten Syrien und Irak gab es im Vorfeld der Entscheidung grosse Bedenken.

Sorger: "Wichtig güt Österreichs Exportwirtschaft"

Veit Sorger, Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung (IV), hat die Entscheidung der österreichischen und deutschen Exportkreditagenturen heute begrüsst. "Das Projekt mit einem Volumen von mehr als 230 Millionen Euro ist wichtig für Österreichs Exportwirtschaft." Ilisu sei ein Job-Motor in Österreich, so Sorger am Montag in einer Aussendung. In der wirtschaftlich unterentwickelten Region Südostanatolien würden nun Tausende Menschen über viele Jahre hinweg Arbeit finden, erklärte er weiter.

Ulrich Eichelmann vom WWF bedauerte in einer ersten Reaktion, "dass mit dieser Entscheidung wieder einmal wirtschaftlichen vor Umwelt-, Menschenrechts- und kulturellen Belangen der Vorzug gegeben wurde". Der Widerstand gegen das Projekt werde weitergehen, kündigte er gegenüber der APA an. Am vergangenen Freitag hatten sich Staudamm-Gegner gemeinsam mit der Menschenrechtsaktivistin Bianca Jagger im südostanatolischen Hasankeyf zu einer Protestaktion eingefunden.

Grüne: "Ein klarer Fehler"

Die aussenpolitische Sprecherin der Grünen, Ulrike Lunacek, sieht die offiziell bekannt gegebene Entscheidung für die Exportkredithaftung für den Tigris-Staudamm als "klaren Fehler". Ilisu sei ein Beispiel dafür, dass die österreichische Ausfuhrförderungsgesetzgebung reparaturbedürftig sei. So müsste bei derartigen Grossprojekten zwingend das Parlament einbezogen werden, erklärte Lunacek in einer Aussendung am Montag.

"Ich bedaure die Entscheidung von Finanzminister Molterer, nun doch einer Garantieerteilung für das umstrittene Ilisu-Projekt zuzustimmen", so Lunacek. Sie kritisierte die mangelnde Transparenz des Projektes, die fehlende Umweltverträglichkeitsprüfung und die bisher verabsäumte Einigung mit den Anrainerstaaten Irak und Syrien.

Die Grünen werden den Prozess und die Einhaltung der insgesamt 150 Auflagen für das Projekt "genau im Auge behalten und jede Nachlässigkeit schonungslos aufzeigen", kündigte Lunacek an. (APA)



Quelle: dradio.de EUROPA HEUTE  27.03.2007 · 09:10 Uhr

URL: http://www.dradio.de/dlf/sendungen/europaheute/609264/



Marktszene in Diyarbakir: Frauen sind für Haushalt und Kinder verantwortlich. (Bild: AP Archiv)

 

Marktszene in Diyarbakir: Frauen sind für Haushalt und Kinder verantwortlich. (Bild: AP Archiv)

 

Nachhilfe für Väter

Rollenbild in der Türkei im Wandel

Staat und Kommunen in der Türkei bieten kaum Kindergärten an. Und die grosse Mehrheit der Bevölkerung kann sich private Vorschulen nicht leisten. Dem Mangel an vorschulischer Bildung wird deshalb mit gezielter Ansprache der Eltern begegnet, und da bleiben auch die Väter nicht aussen vor. Gunnar Köhne berichtet aus Istanbul.

Am frühen Abend in einem Klassenzimmer der Grundschule von Bayrampascha: Zwölf Männer nehmen schüchtern in einem Halbrund aus Plastikstühlen Platz. Bayrampasa ist ein Armenvorort von Istanbul, an der Wand des ungeheizten Klassenzimmers hängen eine vergilbte Schautafel mit den wichtigsten Stationen im Leben des türkischen Republikgründers Mustafa Kemal Atatürk sowie ein Poster über das Planetensystem. Erwartungsvoll schauen die Männer zur Tafel, eine Mappe mit Fotokopien festhaltend, die sie auf die Knie ihrer abgetragenen Hosenbeine gelegt haben.

"Wie ist Ihre vergangene Woche verlaufen?",

fragt der freundlich lächelnde junge Mann an der Tafel. Die schnauzbärtigen Männer, manche schon Anfang 50, reden ihn mit "Herrn Lehrer" an. Morgens unterrichtet der Grundschullehrer die Klassen 1 bis 8, einmal in der Woche aber leitet er einen Väter-Unterstützungs-Kurs - etwas völlig Neues im Land der Paschas. Hier lernen Väter etwas über Erziehung und Förderung ihrer Kinder, etwa dass man Kinder auch erziehen kann, ohne sie anzubrüllen oder im schlimmsten Fall zu ohrfeigen.

"Gibt es jemanden, der sein Kind in der vergangenen Woche unter Druck gesetzt hat?",

fragt der Lehrer sanft. Betreten gehen die ersten Finger hoch:

"Wir haben einen neuen Wohnzimmertisch gekauft, und mein Sohn hat gleich Kerben reingehauen, als er Walnüsse knacken wollte. Ich hab ihn angebrüllt ,und er ist weinend rausgelaufen. Mein Frau hat dann gesagt: Na, das hast du wieder prima hingekriegt. Hinterher habe ich es auch bereut, mir fiel dann wieder ein, dass wir zur Hausaufgabe hatten, unsere Kinder nicht so zu behandeln."

"Herr Lehrer, als ich gestern Abend nach Hause kam, stritten sich unsere beiden Kinder. Meine Frau meckerte die beiden an, und ich hab dann auch noch rumgebrüllt, hab der einen sogar eine kleine Kopfnuss verpasst. Das hätte nicht passieren sollen, ich weiss."

Die Väter-Unterstützungsgruppe ist Teil eines landesweit einzigartigen Projekts, mit dem die Türkei den Mangel an vorschulischer Erziehung angehen will. Der Istanbuler Stiftung ACEV, eine Abkürzung für Mutter-Kind-Bildungsverein, ist es gelungen, binnen weniger Jahre 300.000 Mütter und Väter in Kursen über die Erziehung ihrer Jüngsten zu beraten. "Mit 7 ist es zu spät", heisst die Kampagne, in der ACEV landesweit mit Fernsehspots dafür wirbt, Kinder schon zu fördern, bevor sie mit sieben Jahren eingeschult werden. Dieses einzigartige Projekt wird unter anderen von der Europäischen Union mit zwei Millionen Euro gefördert. Die Direktorin von ACEV, Derya Akalin:

"Die Zahl derjenigen Kinder, die eine vorschulische Erziehung bekommen, ist bei uns in der Türkei im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr niedrig. In der Altersgruppe der Sechs- bis Vierjährigen sind es gerade einmal elf Prozent! Selbst in Jordanien liegt die Vorschulquote dreimal höher. Der Grund ist in der allgemeinen Einstellung der Türken zu suchen, und die besagt: Kinder gehören in diesem Alter in die Familie, oder genauer gesagt: zur Mutter. Unser Programm will diese Einstellung ändern und die Notwendigkeit von vorschulischer Erziehung vermitteln. Anfangs sind wir in vielen Gegenden von Tür zu Tür gegangen und haben die Mütter überredet, an unseren Kursen teilzunehmen. Mittlerweile haben wir für unsere Kurse Wartelisten, denn die Nachfrage übersteigt das Angebot. Es ändert sich etwas in der Einstellung. Die Erkenntnis, dass vorschulische Erziehung notwendig ist, setzt sich immer mehr durch."

Staat und Kommunen in der Türkei bieten kaum Kindergärten an, und die grosse Mehrheit der Bevölkerung kann sich private Vorschulen nicht leisten. So bleibt nur die Ansprache der Eltern. Im Falle der Väter aus dem Kurs in Bayrampascha sind es keine hochgesteckten pädagogischen Ziele, die der von ACEV fortgebildete Grundschullehrer mit seiner Klasse bespricht. Am Ende der zehn Kursstunden sollen die Teilnehme einsehen, dass Kinder ernst genommen werden wollen, dass sie eigene Bedürfnisse haben, dass sie Ansprache und Anregung brauchen. Einer der Kursteilnehmer ist stolz darauf, dass er schon nach vier Unterrichtsstunden zuhause Fortschritte macht:

"Ich habe zwei Kinder. Eines ist schon in der fünften Klasse, die Kleine soll demnächst mit der Schule anfangen. Ich mache hier mit, weil meine Frau mich darum gebeten hat . Und ich bin sehr froh, dass ich mich dazu entschlossen habe. Früher wollte ich mit den Kindern nicht einmal raus gehen zum Spielen, ich war immer zu müde oder mir fehlte die Geduld, wenn sie mich darum baten. Aber jetzt weiss ich, dass das wichtig ist, und darum gehe ich jetzt öfter mit ihnen raus, zum Beispiel zum Rummelplatz.“

++++++++++++++++++++++++++++++

 

 

Klaus D. Bufe

 

 

Lazarus

 

Der Mann, wohl so um die vierzig Jahre alt, der da am Kai stehend in das Treiben auf dem Strom, den Anliegern, den Schiffen schaut, trägt die Kleidung der Spann- und Trossführer.

Aber er ist wohl ein bisschen mehr oder aus einem guten Handelshaus. Auf dem Kragen und den Aufschlägen der Joppe glänzt Biberfell. Hirschhornknöpfe schliessen die und Opale zieren die Stulpenstiefel, die nach Art der Niederländer bis zu den Oberschenkeln reichen.

 

Merkwürdige Verletzungsnarben verunstalten seine Hände. So, als sei da bei einem Haus- oder Schiffsbau versehentlich ein Nagel hineingetrieben worden. Er trägt, wie die Herren von Stand, meist Handschuhe aus Wildleder. Auch scheint ihm eine Verwundung im Bereich der Lenden zu schaffen zu machen. Dort trägt er, das Fell nach innen gewendet, den Balg einer Wildkatze.

 

Aber er führt keine Waffe mit sich und hinter ihm läuft auch kein Lakai oder Hellebardier. In dem Quartier trug er sich ein als ‘Jesus von Nazareth, Zimmermann’. Der Wirt, der da schon so Eintragungen wie ‘Jakob, Hosenträger aus Waiblingen’ oder ‘Franz, Nashorn aus Babylon’ gesehen hatte, zuckte nicht zusammen, fügte, wie vom Gesetz verlangt, den Vermerk an ‘Kein Jude, kein Zigeuner’, bevor er das an die Stadtschreiberei weitergab.

 

Da gingen in den Tagen viele besser unerkannt hinauf nach Norden. Der Kaiser hatte die Aufgebote der süddeutschen Städte verkleinern heissen, auch den Übertritt der Abgemusterten in fremde Dienste untersagt. Aber oben im Norden bot das kleine sumpfige Holland dem mächtigen Spanien die Stirn.

Da ging so mancher, dem nach der Auflösung seines Regimentes nur der Bettel blieb, um des knurrenden Magens willen auf die niederländische Seite.

Etliche, und der Wirt wirft, als er eine kaiserliche Streife sein Haus betreten sieht, einem Gast wie zufällig ein Handtuch auf die Joppe, sagt er, gehen, um die es schade ist und die hier fehlen werden, wenn denn einmal endlich die deutsche Sache ins Treffen geführt wird.

Das sind die, die den Bundschuh, das schwarz-rot-gold der Schwabenhanse oder den Raben der Waldleute halbverdeckt auf ihrer Kleidung tragen.

Da übersieht er schon mal, dass solch ein Gast eine Zeche schuldig bleiben muss oder redet mit dem Schmied, dass dessen Pferd neue Eisen brauche und der ‘einer von uns’ ist.

 

Als die Stube leer ist, er sich ein Quentchen von dem Indianerkraut, dem einzigen vernünftigen, das die Spanier da aus den neuen Ländern jenseits des Meeres holten, in Brand steckte, setzt er sich neben den neuen Gast.

„Sei, wer immer Du bist, so nett und lass mein Wasser in Ruhe. Ich kann kein Wunder wie das bei der Hochzeit in Kana gebrauchen. Das lockt mir nur den Pöbel auf den Hals. Des Kaisers Geheimpolizei, die Ratten von Thurn und Taxis, sind schon schwer genug auszutricksen.“. Der Gast nickt, fragt: „Wer glaubst Du, wer ich bin ?“. „Wenn ich die Wahrheit sagte und das geriete in ein falsches Ohr, hätten wir beide nur die Wahl zwischen Scheiterhaufen und Vierteilen. Das hülfe denen, für die wir leben, wenig. Pass auf dich auf, Bruder Jesus.“. Er knallt ihm die Pranke auf die Schulter, dass fast der Hocker zerbricht auf dem der sitzt. „Ich gebe Dir den Martin mit als Begleiter. Den kennen die Leute. Dann wissen sie, dass sie Dir vertrauen können. Aber erschrick nicht. Du wirst wenig sehen, was Dich lachen macht. Verzeih mir, aber ich habe das Domkapitel wissen lassen, dass bei mir einer einkehrte, der vermutlich zum engeren Kreis des Heiligen Stuhls gehört. Auch der Papst und vor allem dessen Rechnungsprüfer misstrauen und haben gute Gründe dafür. Da verirrt sich so mancher Peterspfennig und die Abführungen, die die Bistümer und Klöster Rom zu leisten haben, auf dem Weg dort hin. Nein, mir musst Du nicht sagen, dass die Geldwechsler von Dir aus dem Tempel Salomos getrieben wurden. Aber hier in Mainz müsstest Du mit der Geisel beim Morgengebet beginnen und Dein Tagwerk wäre beim Noctum nicht getan.“. Neue Gäste trafen ein. Er weist eine Magd an, dem Gast noch einen Krug Wein von dem aus dem guten Fass zu bringen und ihm das Bad zu bereiten.

 

Ein junger, arg verlauster Hund sitzt, die eine Vorderpfote bittend erhoben am Sturz der offenen Tür. Der Hunger steht ihm in den Augen, die auf den Gast geheftet sind. Als der ihn wahrnimmt, zum Kommen ermuntert, schleppt er einen kaputtgefahrenen Hinterlauf nach. Da ging ein Trosswagen drüber. Leben, gar das eines Hundes, zählt nicht viel.

Jesus streichelt den Wollhaufen. „Wenn Du mir etwas sagen möchtest.“. Der Hund wedelt leise mit der Rute, beleckt die Nägelmale der anderen Hand. „Du kannst mir die Knochen wieder heil machen und dann könnten wir auseinander gehen, als seien wir uns nie begegnet. Aber das kennst Du ja. Ich möchte Dich begleiten dürfen. Aber, verrate mir, Herr, warum wähnst Du die Lebenden auf einem Friedhof ?“.

 

Die Flöhe im Fell suchen sich neue Opfer und grollend „Ganz gerecht ist der Herr nicht“ murmelnd verzieht sich auch eine Zecke. Die Magd, die das Bad bereitet, lächelt, findet eine ausgediente Pferdedecke, auch einen Wassernapf und einiges Futter, und schrubbt den Balg, der da in das noch lauwarme Wasser des Bottichs sprang, ordentlich durch.

 

Auf der anderen Seite der Strasse sitzen in einer Weinlaube arbeitslose reichstädtische Handwerker, ihres evangelischen Bekenntnisses wegen des Landes verwiesene Berg- und Hüttenleute aus Kärnten, der Steiermark. Schwermütig schwingt vom Klang der Maulschellen begleitet das ‘Muss i’ denn...’ in die hereinbrechende Nacht, und jeder, der da singt, weiss, dass es kein Wiederkommen geben wird. Meisterstellen und damit Bürgerrechte sind rar geworden in den Städten auch für die Privilegierten.

 

Der Hund ist zufrieden, eine Pfote auf dem Schenkel des Herrn, eingeschlafen, furzt sich zuweilen den aufgestauten Kummer weg. Die Magd sagt: „Wir sind einsam und warten auf Wunder. Aber das allein reicht nicht. Was nützt es, Herr, wenn Du unsere Knochen wieder zum Gehen fähig machst und wir dann die Ärsche nicht hochkriegen ? Gute Nacht. Vergiss nicht die Kerze zu löschen.“.

 

Leise, bescheiden findet sich der Bube morgens ein. Der Martin sei er und er solle ihm die Stadt zeigen. Zart ist der Fünfzehnjährige, fast mädchenhaft. Die Kleidung, die sorgfältig gestutzte Frisur, passen nicht ganz in die Gegend. Für ein Handwerk, gar für den Strom oder die Überlandfahrt mit schweren Gäulen im Gespann taugt der nicht.

Der Gast fragt nach der Schule, die er besuche. „Versprich mir das Maul zu halten. Einem wie mir traut keiner in den Kaschemmen etwas zu und in den besseren Häusern hält man mich für den Pagen eines Herren, aber überall für einen dummen Jungen. Da wird viel freimütig geredet und manches davon ist unseren Leuten nütze.“.

Geben dürfe es ihn und seine Familie eigentlich nicht mehr in der Stadt. Der Vater ist als Schiffer nebst Kameraden vor etlichen Jahren ersoffen. Gegen den Rat der Fahrensleute, die den zu früh einfallenden Stürmen misstrauten, bestanden das Domkapitel und einige Kaufherren darauf, dass etliche Frachten nach Köln in Verwahrung zu bringen seien. Das Vorrücken eines Feindes war angekündigt und die Herren der Stadt hatten gute Gründe der Befestigung zu misstrauen. Die letzte Bastonade war zwar abgewehrt worden, hatte aber schwere Löcher in die Schanzen und Forts gerissen und weil der Wiederaufbau der dabei auch zu Bruch gegangenen Garten- und Teehäuser im Vorland wichtiger war als die Sicherheit der Stadt pfiff da reichlich der Wind rein.

Was so wichtig war aus der Stadt zu schaffen, das lag jetzt irgendwo zwischen der Burg Katz und der Feste Kaub im Strom. Der Vater und zwei seiner Männer lägen neben einer Kirche, die sie immer nur von Bord aus gesehen hatten.

Weil die Schiffer, wie die Spann- und Trossknechte, keine Vollbürger waren, hätten sie nach Vaters Tod eigentlich die Stadt verlassen müssen, weil die Mutter aus einem zwei Tagereisen weit entfernten Dorf stammte. Das hätte Bettelsack gehiessen. Aber der Vater hat ein kleines, aber schuldenfreies, Haus und zwei Stück Rebland hinterlassen. Die Mutter geht zur Aufwarte bei dem Propst von St. Peter.

Er grinst ein bisschen, dann entschuldigt er sich, weil er ja dem Sohn Gottes gegenüber steht, aber der feixt auch und wirkt sehr neugierig, wie es denn weiter gehen möchte. „Nun, Herr. Der Propst ist ein sehr vertrauter Bruder des Kurbischofs im Weingeist und da wird schon mal das eine oder andere schwadroniert, was gut zu wissen ist.“.

Bei Licht besehen gehört seine Familie zu den Illegalen in der Stadt, aber da sie der Armen-kasse nicht zur Last fallen sind sie in der Stadtschreiberei nicht aktenkundig.

Seit Geraumem holt der Brandwehrfiskal auch bei ihnen, wie bei den anderen Häusern, die es gar nicht geben dürfte, einmal im Quartal sein Kupfer ab, weil der seinen Leuten die Löhnung geben muss, und der Sterbemeister, der für die Friedhöfe der Vorstadt zuständig ist, nimmt, damit der Sargtischler und der Glöckner das ihnen zukommende erhalten können, es auch von den Lebenden und hält sich mit der Frage nach dem Status nicht auf.

„Wie viele von Euch gibt es in dieser Stadt ?“. Martin zieht die Schultern hoch, versucht, sich den jungen Hund vom Leib zu halten, der mit seiner Zungenspitze die Gehörgänge ausgiebig untersucht. „Gut ein Drittel, Herr, werden wir schon sein ohne die durchreisenden Juden, Zigeuner, Studenten.“. „Lass uns gehen, ich will mir das ansehen, aber nenne mich nicht Herr...“. Martin lässt ihn nicht aussprechen. „Spar es Dir, bis wir mit den Unseren drüben im Kloster der Guten Frau sind. Da sind wir unter uns.“.

 

Jesus sagt zu dem Hund: „Komm, Thomas, folge mir nach.“. Der nölt etwas herum, knöttert, er hätte wohl doch einen besseren Namen verdient, aber dann fällt ihm ein, dass das einer der Geliebten des Herrn war. Er klaut einem vorbei huschenden Bäckerjungen eine noch ofen-warme Semmel vom Blech und folgt.

 

Der Herr geht drei Tage lang durch die Stadt. Geht durch die Kotten der Handwerker und Kleinkaufleute, die kaum das Brot für den nächsten Tag zu verdienen vermögen. Er sieht in den Kasematten neben den Pferden der Garde die Stadtarmut auf durchgefaulten Strohsäcken schlafen. Sieht vor den Kirchen und Patrizierhäusern die Krüppel von Kriegen betteln, die die ihren nicht waren und die dankbar sein dürfen, dass der Fürstbischof befohlen hat, sie seien in geweihter Erde zu begraben und eine Totenmesse sei unvergolten für sie zu lesen.

 

Ein Strassenzug steht blank, verödet, erste junge Pappeln schieben sich da hoch. Vereinzelt Mauerreste, Türstürze, verkohlte Balken. „Du fragtest nach meiner Schule, Herr. Hier war die Hohe Schule der jüdischen Gemeinden und in der hat manch ein Prälat oder Domherr als Kostgänger der Juden sein Latein gelernt. Die Juden hatten zwei Fehler: sie waren ehrliche Leute, die es mit dem Almosengeben hielten, wie es ihr Gesetz verlangt, und sie waren reich, weil sie zusammenhielten. Die Asche glüht noch in der die letzten brannten, aber für ihre Habe hatte unser allergnädigster Herr Fürstbischof nur ein vergebendes ‘Pecunia non olet’ übrig. Die teilten sich in brüderlicher Liebe das Domkapitel, die Magistratsgeschlechter und der Landadel. Gut, da ist auch manch ein Gutschein eines Handwerkers, manche Schuldverschreibung eines Bauern mitverbrannt, aber das hätte kein Jude eingefordert. Du kannst eine Ziege schlachten oder Du kannst sie melken...“.

 

Der Gast schluckt schwer, gedankenversunken gibt er einem Veteranen, der gegen die Türken beide Beine über einer Mine verlor, im Vorübergehen die dem wieder, verzieht sich im Auwald. Martin hält Thomas zurück. „Lass ihn, unser Herr will weinen und beten. Da stören wir nur.“.

 

Devot nähert sich mit frischer Tonsur ein junger Priester begleitet von zwei Soldaten der Garde, radebrecht etwas zusammen, was er wohl für Latein hält. Der Gast fordert ihn mit einer Handbewegung auf Platz zu nehmen und ihm beim Frühstück Gesellschaft zu leisten. Der Priester brabbelt etwas davon, das Fasten sei nahe gekommen. „Nun gut, wenn es ange-kommen ist mag es sein Recht bekommen, aber dieser hervorragende Schinken war schneller.“. Er mustert den Hänfling, entscheidet für sich, dass dem, was immer er anstellen möge, die Seligkeit gewiss sei.

Mühsam, nur mit einem Viertel der Achterbacken auf einem Hocker sitzend bringt der vor, dass der allergnädigste, und dann folgen etliche Dorfnamen in denen den dortigen Hähnen auf den Misthaufen vermutlich herzlich egal ist, dass sie jetzt auch irgendwie zu den Grossen von Reich und Kirche gehören. Wie auch immer, der hohe Herr wünsche dem Gast die Aufwartung zu machen, aber dessen Quartier..... . Er druckst verlegen herum.

Jesus schiebt Thomas eine Scheibe Wurst in den Fang, bittet ihn: „Sei so nett und kotz nicht wieder in unser Schlafzimmer, wenn Du das nicht verträgst.“. Dem jungen Priester entrutscht, ein echter Jude könne der ihm gegenüber sitzende wohl kaum sein, denn Hunde seien nach dem Gesetz Mose unrein. Leise bezweifelt der so Getadelte die Reinheit der Pferdeärsche, die das letzte auf dieser Welt waren, was so viele Angehörige der Synagogengemeinde sahen. „Es ging um die Staatsräson.“, sagt der Priester. Jesus unterdrückt die Bemerkung ‘Dafür das viele Blut der Redlichen’, sagt nur leise, es käme ihm bekannt vor, aber Pilatus habe unter der Regentschaft des von ihm ungeliebten Kaisers in seinem Abschnitt wenigstens den Entrechteten das wieder verschafft und den Hungrigen Brot. Aber dann willigt er in ein Gespräch mit dem Kardinal, Fürstbischof von Mainz, ein und schlägt als Ort dafür den Dom vor, aber er besteht darauf, dass es eines unter vier Augen sei und Waffen dulde er in seiner Umgebung nicht.

 

Der junge Priester entschwindet erleichtert, bekreuzigt sich draussen auf der Gasse und ruft ein Schock Heilige an um Beistand, weil er wahrscheinlich dem leibhaftigen Teufel gegenüber gesessen habe. Ein Sperling, der eigentlich etwas ganz anderes zu tun hat, blickt von seinem Geschäft auf, sagt zu ihm: „Du spinnst. Aber es ist Deine Sache, Gottes Gaben zu nutzen.“.

 

Martin merkt leise an, dass er Angst um seinen Herrn habe und er werde darauf achten, dass die eigenen Leute dort seien, wo es gelten könne der Garde den Weg zu verlegen. Thomas nickt, bemerkt, einmal gekreuzigt reiche und eine zweite Auferstehung Gottes sei das schäbige Mainz nicht wert.

 

Jesus mustert in dem prächtigen Bauwerk die Grabplatten der dort beigesetzten Menschen. Kniet sich neben ein Kind dessen Vater irgendwo in irgendeinem Krieg im Feld steht und macht ihm Mut, sichert ihm zu, es werde den Vater wieder lebend sehen, aber dann sollten sie gemeinsam dorthin aufbrechen, wo Menschen das Leben ernstnehmen. „Du bist ein Herr von Stand und rätst mir, wir sollten zu den Waldleuten gehen ? Das sind, Herr, wenn Ihr Euch verlaufen habt, die, die Euch ans Leder wollen.“. Leise sagt Jesus, vielleicht irre er, aber sein erster Weg sei auch der durch die Wüste gewesen.

 

Der Fürstbischof ist ein äusserlich junggebliebener Mann, der gerne und viel, auch häufig ohne Sattel, reitet. Eskortiert von seinen Hunden jagt er oft morgens am Strom entlang. Für einen Adligen und Kleriker ist er erstaunlich hochgebildet, übersetzt in seinen freien Stunden Horaz, Ovid und andere und lässt die in deutscher Sprache drucken.

 

Die beiden Männer treten sich vor dem Hochaltar gegenüber, fast unauffällig, schauen in das Geschehen im Dom. Jesus sagt, es käme ihm alles sehr vertraut vor. Vorne beim Chorgestühl Brokat und Seide, die Leber- und Nierenleiden der Fettlebe, hinten im Halbdunkel die knurrenden Mägen, die Angst vor dem nächsten Tag. „So ist die Welt eben.“, sagt der Kardinal. Jesus will die Faust ballen, aber von Südwesten her drängt eine Regenfront heran, lässt die Narbe auf der Hand schmerzen. Er erwidert: „Weil Ihr sie nicht verändert. Kennst Du die Stadt überhaupt, deren erster Seelsorger Du bist, in der Du mich zu vertreten hast ?“. Der Kardinal blickt erstaunt auf, wirkt erstaunt als höre er zum erstenmal von der Stadtarmut, den stickig-stinkenden Quartieren in den Forts. Das Ghetto habe gebrannt ? Handwerker zögen arbeitslos über Land ? „Aber, Herr, warum kommen diese Sünder denn nicht in den Schoss der Kirche ?“. „Weil Ihr schon wieder an den falschen Tischen sitzt.“.

Der Kardinal will von den Bagatellen wegkommen, ein Wort unter Seinesgleichen reden. In der Stadt wird viel und unverhüllt von dem Fremden gesprochen. Aufruhr kann jetzt nur schaden, aber ein gewichtiger Verbündeter wäre von Nutzen und das könne schon der lebendige Gott selber sein. Einen Versuch wäre es wert und den Mann als Ketzer zu verbrennen gäbe Tumulte.

Jesus mustert ihn eine Weile nachdenklich. Durch den Kopf des Kardinals schiesst ‘Ich gehe oder liege, so bist du um mich, du kennst meine Gedanken von ferne’: Er hört wie durch Daunendecken: „Ich wiederhole mich nicht.“.

Donnernd bricht der hölzerne Christus vom Hochkreuz, zerbröselt zu Staub, das im flirrenden Licht herumtanzt.

 

Er geht aus dem Dom. Einige Menschen machen ihm Platz. Martin schmiegt sich erleichtert an ihn. „Ich brauche einen Schluck Wasser.“. Ein älterer Mann kommt, hält ein Brett mit vier Rädchen in einer Hand. „Du warst in Eile. Ich konnte Dir nicht danken. Darf ich Dir folgen, Herr ?“. Lächelnd sagt Jesus ‘Idiot’, legt ihm den Arm um die Schulter und zieht ihn zu sich. Thomas fragt er, ob der sich schlau gemacht habe nach dem Weg, den sie nun einzuschlagen hätten.

Eine junge Frau hat sich neben ihn gesetzt. „Meine Schwester sagte, Du willst hinauf in die Berge ?“. „Ich will zu unseren Leuten, egal, wo die sind. Entscheidend ist, dass sie zur Veränderung taugen.“. „Wir kommen mit. Nimm die Jacke. Dort oben wehen derbe Winde und Dein Schuhwerk taugt auch nicht für weite Wege, aber das tauschen wir draussen.“.

Einige der Frauen und Männer, die um den Brunnen herumstehen, wenden ein ‘Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden’. Mit einer segnenden Handbewegung weist Jesus auf die Soldaten der Stadtgarde, die sich dem Auflauf nicht zu nähern, ihn zu zerstreuen wagen. „Lasst mich das Meine tun, solange es Tag ist.“.

 

Der Fährmann, der sie über den Strom bringt, merkt zu der jungen Frau an, dass oben, ausserhalb der Sichtweite der Stadt, Pferde bereit stünden. In der Klause zum Guten Hirten sei alles vorbereitet für ein Nachtlager. Sie sollten, bevor sie weiterzögen, dort sich erst mal ausruhen.

Langsam reiten sie bergwärts. Zerschossene Fouragewagen, abgestürzte Lafetten liegen am Weg. Der eine Säbel, das eine Uniformstück eines Grenadiers des Königs von Frankreich oder das eines Husaren des Herzogs von Braunschweig modert da.

In den Talsenken zerschossene Mühlen, Traubenpressen, die, weil vermutlich kriegsentscheidend, dem Feind nicht in die Hände fallen durften. Gesprengte Gehöfte. Ein Kirchturm ist umringt von Gräbern stehen geblieben.

 

Die Frau ist taubstumm seit Geburt, die die Klause zum Guten Hirten bewirtschaftet. An ihrer Seite steht ein Soldat des Königs von Schweden, der nach einem Sieg, der ihn nicht interessierte, hier zu bleiben beschloss.

 

Sie reiten weiter am anderen Morgen. Drüben auf dem Hellweg, der Handelsstrasse zwischen Köln und Frankfurt, gehen die gepressten Hungerleider, die für des Kaisers Dienst begnadigten kleinen Ganoven bewacht von städtischen Aufgeboten, damit sie nicht unterwegs anderen Sinnes werden, an die Front gegen die Türken, rollen die Handelswagen.

Abseits der Strassen liegen die Dörfer, Siedlungen der Hungerleider, die der Leprösen, der Verbannten, der Zigeuner, der Köhler und Pferdehirten, die Siedlungen derer, die es nicht geben dürfte. Und an deren Arbeit in Köln und Frankfurt, Leipzig und Antwerpen so manches Stück Arbeit in Kupfer entlohnt in Silber sich wandelt.